Abschied für immer:
Neues Denkmal zur Erinnerung an Kindertransporte
Von
Lothar Eberhardt
Vor
70 Jahre, am 1. Dezember 1938 fuhr der erste Kindertransport vom Anhalter
Bahnhof mit 196 jüdischen Kindern nach London. Kein Urlaub, keine
Ferienreise - sondern der Beginn einer Rettungsaktion für ca. 10.000
jüdische Kinder, die bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges andauerte.
Wenn Kinder heute ohne ihre Eltern
verreisen, ist das fast normal. Sorgsam wird das Kuscheltier, das
Lieblingsbuch,- CD, die Lieblings-"Klamotten" und natürlich das Handy
eingepackt. Eine letzte Umarmung, ein Abschied - nicht für immer. Damals ein
kleiner Koffer mit dem Notwendigsten in aller Eile zusammengepackt, für die
Eltern, Familien und Freunde ein kurzer schmerzvoller Abschied mit
ungewisser Hoffnung auf ein Wiedersehen. Der "Transport" hieß für die
reisenden Kinder Überleben. Für ca. 1,5 Millionen zurückgebliebene jüdische
Kinder folgte meist die Deportation und Vergasung.
Am Bahnhof Friedrichstraße
(Friedrichstrasse/Ecke Georgenstrasse) wurde am 30. November im Beisein von
50 bis 60 überlebende Zeitzeugen aus Berlin und aller Welt ein Denkmal
enthüllt. Realisierung und Initiator ist Frank Meisler, selber einer der
Gerettete, er organisierte die "Schenkung" der Skulptur. Im Beisein des
Künstlers und mit Redebeiträge von Zeitzeugen und deren Nachkommen, sowie
offiziellen Vertretern wie Polizeipräsident Glitsch, dessen Polizeischüler
das Anliegen aktiv unterstützten und dem Bürgermeister des Bezirkes
Berlin-Mitte wurde das Denkmal in einer würdigen Feierstunde seiner
Bestimmung am zentralen öffentlichen Ort übergeben. Streitigkeiten um die "püppchenhafte
Skulptur", den Aufstellungsort und andere Interventionen gedenkpolitscher
Akteure, die in den letzten Wochen zur öffentliche Debatte in Berlin
führten, wurden durch die rechtzeitig zum historischen Datum aufgestellte
Skulptur beendet. Die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags Petra Pau lud
die Zeitzeugen am 1. Dezember in den Deutschen Bundestag ein mit
anschließendem Besuch der Ausstellung
"The J. Street
Project".
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Die aufgestellte Skulptur besteht aus zwei
Personengruppen, die in entgegen gesetzte Richtungen gehen. Fünf Kinder, die
farblich dem Grau des "Holocaust Denkmal" angepasst sind stehen dabei
stellvertretend für alle die, die nicht gerettet werden konnten und
deportiert und ermordet wurden. Zwei Kinder, im Bronzeton gehalten,
symbolisieren die ca. 10.000 Mädchen und Jungen der Kindertransporte.
Abgesetzt ist ein Schienenstrang erkennbar. An der Stirnseite des mit
Granitplatten eingefassten Sockel ist zu lesen:
"Züge
in das Leben
–
Züge
in den Tod. 1938-1945". Der Spannungsbogen entsteht durch unterschiedliche
Patina und die Ausrichtung der Figuren. Das "menschliche Chaos"
symbolisieren ein Stapel Koffer und Gepäckstücke zwischen den Überlebenden
und den in die Vernichtung "Reisenden".
Ein junge Frau/Jugendliche in der
Gruppe der Deportierten trägt einen Judenstern. Um die zeitlich nicht
zusammenfallenden Ereignisse der Kindertransporte von 1938/1939 und den
Deportationen ab 1941 und der Polizeiverordnung vom 1. September 1941, die
das zwangsweise Tragen des Judensterns anordnete, zu erläutern, werden an
der "Gedenkskulptur" in Zusammenarbeit mit der Gedenktafelkommission
Berlin-Mitte, die historisch korrekte Einordnung der Fakten nachgereicht.
Diese Nachbesserung wurde durch betroffene Zeitzeugen, die die "historische
Authentizität" in Frage stellten, ausgelöst.
Die Gedenkskulptur für die Kindertransporte
in Berlin ist seit gestern eine virtuelle Achse zur den bestehenden
Denkmälern in London, Liverpool Station, dem Ankunftsbahnhof der Kinder, und
in Wien. Weitere Denkmäler, wie etwa in Danzig, sind in Planung.
Alle Fotos:
© Kappa Photo, Lothar Eberhardt
hagalil.com
01-12-08
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