Frauenprotest in der Rosenstrasse - 27.
Februar1943:
Mythos und Wirklichkeit der "Fabrikaktion"
Foto: M. Eun |
Ein Denkmal von
Ingeborg Hunziger, mehrere Bücher, zahlreiche Artikel und in Kürze auch ein
Spielfilm von Margarethe Trotta erinnern an den Frauenprotest in der
Rosenstraße im Zentrum von Berlin. Dort befanden sich zahlreiche
Institutionen der jüdischen Gemeinde, z.B. die Alte Synagoge
(eingeweiht 1714), eine Mikwe (rituelles Tauchbad), und die Sozialverwaltung
der Gemeinde, in der die Aktivitäten jüdischer Sozialarbeit, die nach
Synagogenbezirken organisiert war, koordiniert wurden und auch einige
Beratungsstellen Sprechstunden anboten.
Am Samstag den 27.
Februar 1943 wurden einige tausend Juden, die noch als Zwangsarbeiter -
meist in Rüstungsbetrieben - eingesetzt waren, an ihren Arbeitsplätzen
verhaftet (daher auch die Bezeichnung "Fabrik-Aktion"). Sie sollten durch
polnische Zwangsarbeiter (sogenannte "Ostarbeiter") ersetzt werden und
wurden auf Lastwagen getrieben und in unterschiedliche Sammellager gebracht.
Diejenigen unter ihnen, die mit nicht-jüdischen Partnern verheiratet waren -
also in sogenannten "Mischehen" lebten - oder auch Jugendliche, die einen
jüdischen Elternteil hatten und auch ab dem 14. Lebensjahr Zwangsarbeit
leisten mußten, wurden in das Verwaltungsgebäude in der Rosenstrasse
gebracht.
Die nicht-jüdischen
Partner - überwiegend Frauen - erfuhren auf unterschiedlichen Wegen von der
Gefangennahme ihrer Partner bzw. Kinder. Sie kamen in die Rosenstraße um
sich über deren Verbleib zu informieren, Brotpäckchen zu hinterlassen ...
Daraus entwickelte sich ein einwöchiger Protest. Selbst als Maschinengewehre
aufgebaut wurden, konnte dies die Frauen nicht veranlassen, ihren Widerstand
zu beenden. Nach einer Woche wurden die Gefangenen aus der Rosenstraße
freigelassen.
Das Ereignis wurde erst
relativ spät von der Geschichtswissenschaft beachtet. Immer wieder wurde ein
Zusammenhang hergestellt zwischen der Freilassung der Juden und dem Protest
der nicht-jüdischen Ehefrauen und der Schluß daraus gezogen, daß selbst im
Jahr 1943 die Vernichtung der Juden noch verhindert werden hätte können,
wenn sich nur mehr Deutsche so couragiert verhalten hätten wie die Frauen
aus der Rosenstraße.
Neuere Forschungen lassen
an dieser Darstellung allerdings Zweifel aufkommen. Wolf Gruner erschließt
im aktuellen "Jahrbuch für Antisemitismusforschung" Quellen, die bis jetzt
wenig beachtet wurden. Die Aktenlage, wie Gruner sie analysiert zeigt, "daß
das Reichssicherheitshauptamt die Juden aus 'Mischehen' zu diesem Zeitpunkt
nicht abtransportieren wollte". Von den rund 2000 Personen - vorwiegend
Männer -, die Gefangene im ehemaligen „jüdischen Arbeitsamt“ waren, sollten
etwa 200 ausgewählt werden um in den noch arbeitenden jüdischen
Institutionen (Reichsvertretung, jüdische Gemeinde, jüdisches Krankenhaus im
Wedding) eingesetzt werden und in diesen 450 deportierte Mitarbeiter
ersetzen.
Da die Gestapo zu diesem
Zeitpunkt nicht beabsichtigte, die in der Rosenstraße internierten Juden zu
deportieren, wurde ihre Entlassung aus dem Sammellager nicht durch die
Proteste der Frauen herbeigeführt. Dies schmälert in keiner Weise den
Einsatz und die Zivilcourage der dort sich versammelnden Angehörigen. Ihre
Zahl wurde zuerst mit 6000 angegeben, aber in den letzten Jahren dann auf
2000 geschätzt. Heute geht man von 600 Demonstrierenden gleichzeitig und
einer Gesamtzahl von 1000 Personen, die über die ganze Woche verteilt sich
immer wieder an den Protesten beteiligt haben, aus.
Am 18. Oktober 1995 wurde
das von Ingeborg Hunzinger geschaffene Denkmal eingeweiht. Dieses Datum
wurde gewählt, weil am 18. Oktober 1941 die Deportationen der Berliner Juden
begonnen hatten. Die Inschrift, die Ingeborg Hunziger für eine der
Rückseiten der 3 Blöcke gewählt hat, lautet:
"Die Kraft des Zivilen
Ungehorsams und die Kraft der Liebe bezwingen die Gewalt der Diktatur"
Das Gebäude, in dem sich
die Sozialverwaltung der jüdischen Gemeinde befand und auch die Synagoge in
der Heidereuthergasse wurden bei einem Bombenangriff 1945 schwer beschädigt.
Seit September 1998 erinnert eine Gedenktafel am benachbarten
Alexander-Plaza-Hotel mit einem historischen Foto an die Ereignisse. Seit
März 1999 gibt es an der Karl-Liebknecht-Straße und vor dem Plaza-Hotel eine
rote Litfaßsäule, die durch Bilder und Dokumente die Ereignisse in der
Rosenstraße erschließt. Im Jahr 2000 wurden die noch vorhandenen Fundamente
der Alten Synagoge gehoben und damit sichtbar gemacht. Daneben ist
inzwischen eine Gedenktafel aufgestellt worden, allerdings so verborgen, daß
sie nur derjenige finden kann, der um sie weiß.
Im Foyer des Hotels gibt
es außerdem eine kleine Ausstellung zu besichtigen, die Dr. Gernot Jochheim
konzipiert hat. Er ist auch der Verfasser des Buches "Frauenprotest in der
Rosenstrasse - Berlin 1943 - Berichte - Dokumente - Hintergründe", dessen
zweite Auflage vor einigen Monaten erschienen ist.
Startseite Rosenstrasse
Gernot Jochheim:
Frauenprotest in der Rosenstraße Berlin 1943.
Berichte, Dokumente, Hintergründe.
Hentrich & Hentrich
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Der
Aufstand in der Rosenstraße:
"Widerstand des
Herzens"
Nathan Stoltzfus macht in seiner Untersuchung auf
das Schicksal der "Mischehen" und "Mischlinge" aufmerksam. Sein
beeindruckendes Buch, ursprünglich als Dissertation an der Harvard
University eingereicht, liegt nun in deutscher Übersetzung vor. |
hagalil.com
10-11-02
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