Über Macht und Verantwortung aus der Sicht jüdischer Frauen:
Eindrücke und Beobachtungen aus einigen Workshops
Bet Debora Konferenz - Berlin 2003
...
von Gudrun Wilhelmy
Macht und Verantwortung dieses spannende Thema - nicht nur aus weiblicher oder
weiblich-jüdischer Sicht - versprach in diesem Jahr zur dritten Bet
Deborah-Konferenz europäischer Rabbinerinnen, Gemeindepolitikerinnen,
Aktivistinnen und Gelehrter nach Berlin spannende Diskussionen und
Auseinandersetzungen.
An drei halben Tagen prägten zahlreiche Workshop-Angebote den Konferenz-Verlauf.
Die Auswahl für eine der vielen Parallelveranstaltungen fiel schwer. Am Freitag
gab es acht interessante und spannende Themen: "Realität in Synagogen" mit
Rabbinerin Gesa Ederberg, Silke Goldberg und Prof. Dr. Alice Shalvi oder
"Jüdischer Feminismus eine Perspektive für jede?" mit Bella Szwarzman-Czrnota
aus Warschau, Sylvie Wittmanova aus Prag und Svetlana Yakimenko aus Moskau
insbesondere aus dem Blickwinkel des osteuropäischen Judentums. Toby Axelrodt,
Deutschlandkorrespondentin der Jewish Telegraphic Agency, Andrea Deak von
Esthers's Bag in Budapest, Katarina Jelinkova von Maskil, Prag, Wanya Kruyer vom
Nieuw Israelitisch Weekblad in Amsterdam wollten über die "Vierte Macht?
Journalisten und Redakteure in Jüdischen Medien" diskutieren und bei Rabbinerin
Bea Wyler aus Oldenburg ging es um "Macht und Ohnmacht biblischer Frauen". Irene
Reti von der University of California bot einen praktischen Workshop in "Oral
History" an, Batia Blumenberg aus Berlin ging ihr Thema ebenfalls von der
praktischen Seite an im "Atem-Workshop über Macht und Berührung". Mit einem
Bibliodrama lockte Rabbinerin Goldie Milgram aus San Francisco: "Wenn Miriam an
die gläserne Decke stößt".
Meine Entscheidung fiel auf das Angbot von Dr. Hanna Rheinz aus München, die mit
den beiden Künstlerinnen Tanya Uri aus Köln und Marion Kahnemann aus Dresden:
"über die Selbstermächtigung durch Kunst" sprechen wollte.
In diesem Workshop trafen sich nur Künstlerinnen, später kam eine
Kunsttherapeutin hinzu, die meinte darüber aufklären zu müssen, daß sie
natürlich nicht Kunst therapiere. Ein weiterer personeller Wechsel erfolgte,
weil zunächst nur eine einzige englischsprachige Frau in der Gruppe war und
diese durch die zu leistende Simultan-Übersetzung die anderen nicht stören
wollte. Kurze Zeit später kam eine andere Frau in die Runde, die ebenfalls nur
Englisch sprach. Das war nicht das Problem, problematisch war, daß sie mit dem
Erzählen ihrer sehr persönlichen Schwierigkeiten und Lebenserfahrungen fast die
gesamte Zeit des Workshops für sich beanspruchte. Das ließ mir Zeit die gut
gemachten Kataloge von Tanya Uri genauer anzuschauen, die mit unterschiedlichen
Mitteln arbeitet.. Im Workshop waren ausschließlich Frauen aus der bildenden
Kunst: Malerinnen, Fotografinnen und Performance-Künstlerinnen. Einig war man
sich, daß alle als Künstlerinnen gesehen werden wollen und ihre Arbeiten mit
denen anderer verglichen werden sollen. Marion Kahnemann, die überwiegend
Bearbeitungen jüdischer Themen aus ihren Arbeiten vorstellte, will sich dieser
speziellen Kritik – ist das jüdische Kunst ? – nicht entziehen und vertrat
diesen Standpunkt als einzige. Ihr Vorschlag beispielsweise Rembrands Malerei
als jüdische Kunst zu bezeichnen, und zwar nur dann, wenn es um entsprechende
Sujets ginge, war für niemanden aus der Gruppe nachvollziehbar. Für die
Künstlerinnen ist Kunst eine universelle Ausdrucksweise und nicht spezifisch
jüdisch, darin waren sich die meisten einig
Nach dem Workshop geführte Gespräche machten deutlich, daß nicht nur ich,
sondern die meisten von diesem Workshop enttäuscht waren. Dies lag, an der
mangelhaften Strukturierung des Verlaufs durch die Leitung.
Am dritten Konfernztag prägten zwei Workshop-Blöcke den Nachmittag.
Insgesamt sieben parallele Angebote am frühen Nachmittag konfrontierten die
Teilnehmerinnen und Teilnehmer erneut mit einer schwierigen
Entscheidungsfindung: Über Königinnen und Regentinnen in biblischen Zeiten, über
Macht und Souveränität im Talmud, Prof. Dr. Charlotte E. Fonrobert, Standford
University, zwei Schriftstellerinnen und zwei Literaturwissenschaftlerinnen ging
es um "Macht und Sprache – Weibliche Perspektiven in der Literatur" und
Rabbinerin Goodman-Thau von der Herrmann-Cohen-Akademie, arbeitete über Texte
zum Thema "Dina als Paradigma von Herrschaft und Vollmacht in rabbinischer
Tradition", "Warum gibt es kein Synagogenasyl" frage J. K. Langford, Berlin und
Iris Weiss lud zu Bibliodrama als Midrasch "Erbe – Selbstermächtigung und
Teilhabe: Zelophechads Töchter" ein. Gabriele Lerner und Gunda Wöbken-Ekert vom
Netzwerk jüdischer Frauen, Berlin, ging es um "Horizont und Hindernisse
weiblichen Networkings".
Workshop Autorität und Alter
Ich entschied mich für den Workshop von Carola de Vries aus Amsterdam, mit den
Co-Referentinnen Prof. Dr. Alice Shalvi und Dr. Irene Runge. Über "Autorität und
Alter" mit einem Focus auf spirituelles Altern.
Mit Gesang und einem Stuhlkreis, auf dem nach und nach Teilnehmerinnen und
Teilnehmer ruhig Platz nahmen, stellte sich schnell eine gute Atmosphäre her. In
der Mitte auf dem Boden lagen unterschiedliche Bücher, zwei Brezeln als Symbol
der 8, bunte Perlen-Schoko-Plätzchen in allen Regenbogenfarben, eine Vase mit
Tulpen, Lern-Karten und vieles andere. In einer Vorstellungsrunde wurden nur die
Namen der einzelnen genannt und woher man kam.
Irene Runge übersetzte ihren Vortrag über die Beziehungen zwischen Alten und
Jungen weitgehend selbst. Problematisch seien die Beziehungen insbesondere in
Immigranten-Familien, weil in diesen eher die Jungen zu Mittlern zwischen der
neuen Gesellschaft und den Vorstellungen der älteren Generationen werden und
dies als ein Rollentausch der Generationen erlebt wird.
In der jüdischen Tradition sei Alter mit Weisheit verknüpft. Dazu stellte Irene
Runge drei Aussagen von Altersweisheit vor: "Ich bin freigiebig mit Geld
umgegangen" "Ich habe nie ein Geschenk angenommen", "Ich habe in meinem Hause
nie gezürnt". Die Altersuniversitäten, wie es sie hierzulande gibt, greifen auf,
was die Tora lehrt: Mehr Zeit zum Studium – für Juden ist damit das Studium der
Tora gemeint. Aus diesem Grunde sei ein langes Leben als ein Segen anzusehen,
ein Segen jedoch, der von den älteren Workshop-Teilnehmern nicht so ohne
weiteres bejaht wurde. Die Beschwerlichkeiten des Körpers sowie die Belastungen
durch eine anderen Menschen kaum mitteilbare Vergangenheit, werden als
bedrückend wegen ihrer Unumkehrbarkeit angesehen. Außerdem lehrt uns die
Tradition: Das Lernen von Alten ist wie das Trinken vom Wein reifer Trauben. Das
durch die Schoa der Fluß des Wissens in der üblichen Chronologie der
Generationen kaum weitergegeben werden konnte, sahen alle Workshop-Teilnehmer
als schmerzlich vermißtes Bindeglied zwischen den Generationen.
Mit einer Vision sollten sich danach alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer
positive Beispiele für das Altern vorstellen.
Alice Shalvi ging in ihrem Vortrag auf die Mitzwa ein, Vater und Mutter zu
ehren. Sie sieht darin nicht nur die biologischen Eltern, sondern vor allem auch
die geistigen, die uns durch ihre Ideen geboren haben und deren Ideen wo
weitreichend waren, das Verhalten einzelner oder ganzer Gruppen zu verändern und
eine andere Lebensweise zu ermöglichen. Ein besonders schwieriger Weg, so führte
sie aus, sei der. durch Erfahrungen zu lernen. Erfahrungen sollten uns weiser
machen. Etwas, woran es vielen mangele. Alter ohne Weisheit jedoch erschien ihr
als etwas, was sie für sich nicht wolle und auch niemanden wünsche. Allein die
sehr hohen Treppen zum Konferenzraum und in die anderen Räume der Workshops,
wurden von den älteren Teilnehmenden als fast unüberbrückbare Hürde angesehen
und erwiesen sich als sehr anstrengend. Darauf sollte bei künftigen Kongressen
geachtet werden. Das Tragen der Taschen, wie es jemand vorschlug, hilft
überhaupt nicht, wenn Herz, Kreislauf und Atem nicht mehr so arbeiten wie bei
Jüngeren.
Den meisten waren die Alterszuweisungen aus Pirke Awot bekannt, aber sie boten
Anlaß darüber zu sprechen: Mit 5 lesen lernen, mit 10 Mischna lernen, mit 13 die
Mitzwot und mit 18 Heiraten um mit 20 eine Existenzgrundlage für ein eigenes
Leben zu haben, heißt es dort. All dies ist längst nicht mehr Lebenspraxis.
Heute dauern Ausbildungsvorgänge sehr viel länger, vielen gelingt der Einstieg
in die Arbeitswelt gar nicht oder sehr viel später. Dennoch ist mit die 30
körperliche Kraft wohl am höchsten und es kann auch angenommen werden, daß mit
40 die notwendige Reife zum Lesen der Kabbalah vorhanden ist. Ab 50 beginnt das
Alter, um Ratschläge zu erteilen und mit 60 die Weisheit. 70 ist die Qualität:
des weißen Haares zugeordnet und Alice Shalvi fügte, auf die ihren deutend
hinzu: "Let it be!" 80 ist das Alter der Strenge und mit 90 ein Lebensweg, der
sich dem Ende zuneigt erreicht während mit 100 der Weg aus dieser Welt heraus
beschritten wird.
Diese eigenen Lebensphasen noch einmal vor sich ablaufen zu sehen, die Eltern,
ältere Freunde und Bekannte unter diesen Aspekten zu betrachten, hatte mich
veranlaßt diesen Workshop zu bsuchen, und ich wurde nicht enttäuscht. Was vielen
fehlte war ein individuelleres Eingehen auf die Probleme des Alterns und
Altwerdens überhaupt. Andererseits wirkte die meditative Vorstellung bei
einzelnen doch sehr tiefgehend und bewegend und Carola de Vries entschied sich
aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen, darauf nicht näher einzugehen.
Still wurde es, als ein meditatives in sich Gehen damit verbunden wurde, sich
den eigenen Ängsten zu stellen, die mit Altwerden verbunden werden. Es wurde
nicht darüber gesprochen. Manchen schien das nicht richtig, ich persönlich war
damit zufrieden. Es sei wichtig, im eigenen Alter zu leben und mehr Geduld für
den eigenen Körper zu entwickeln. Für Carola de Vries war lange Zeit "Vergeben"
sehr schwierig. Sie hatte es von den Eltern nicht vorgelebt bekommen. Ihr
Vorschlag die 13 Eigenschaften Gottes zu sprechen, die auch Jom Kippur
ausgesprochen werden, wurde aufgegriffen und von einer Sängerin professionell
begleitet. Das Weiterreichen der Vergebung, die man selbst nicht zu geben
vermag, die Gott geben kann, als eine spirituelle Herangehensweise erschien mir
als eine hilfreiche Geste.
Am späten Nachmittag des dritten Konferenz-Tages nehmen viele das Angebot war
und folgen Iris Weiss auf ihrem Stadtrundgang über "jüdische Frauen als
Pionierinnen moderner Sozialarbeit". Andere gehen in den Vortrag von Tanya Ury
über die "Jacobs Leiter" und Karen Margolis lädt mich zu ihrer "Schreibwerkstatt
über Macht und Machtlosigkeit: Frau, Beruf, Judentum" ein. Esther Kontarsky
untersucht den "Midrasch zum Buch Ruth – Solidarität und Macht von
Frauenbeziehungen" und Rabbinerin Sheila Shulman denkt laut über "Weltliche
jüdische Frauen: ein mögliches Modell" nach, während in der Aula Rabbiner James
Baaden und Rabbiner Mark Cohen über "Weibliche Autorität - Männliche
Perspektiven" diskutieren wollen.
Workshop Namensgebung
Mich reizt der Workshop von Lori Klein und Elisa Klapheck: "Benennen" unseres
Selbst. Ein Workshop zur rituellen Namensgebung. Lori Klein beschreibt
detailliert all ihre Namen bis heute, wer sie ihr gab, wie sie verändert wurden,
welche Selbstbenennungen bis hin zu Rebbe Curly sie vorgenommen hat. Wie viele
Namen mit den einzelnen Personen zu tun haben wird klar, als eine Frau von ihren
Namen erzählt: Der Name für eine falsche Identität um zu überleben, der Name den
ihr ein buddhistischer Guru gab, der Rufname, der Kosename und viele andere. Nur
wenige sind mit ihrem Namen zufrieden und / oder konnten sich im Laufe ihres
Lebens mit ihnen anfreunden. Mit dem Wachsen der Wichtigkeit der eigenen
jüdischen Identität, wuchs auch in vielen das Bedürfnis, sich einen jüdischen
Namen zu geben.
Der Name ist auch etwas, mit dem man gerufen wird. Der Kommentar eines Rabbiners
zu der Tora-Stelle, in der Mosche von Gott gerufen wird, wie er des brennenden
Dornbusches ansichtig wird, ist leider nur unpunktiert verteilt worden und daher
für viele nicht zu lesen gewesen. Das Vorlesen des Textes auf Hebräisch brachte
auch nicht viel und hier wäre es sicherlich sinnvoller gewesen, den Text in
Englisch und Deutsch vorzulesen unter Hinweis auf besondere Textstellen oder
Worte, zum besseren Verständnis. So geriet dieser Teil eher zu einer Lernstunde
der beiden Referentinnen.
Es ist für alle schwierig, sich aus der verteilten Liste der Namen einen neuen
auszusuchen und nicht allen gelingt dies. Es hat damit zu tun, bestimmte eigene
Lebenssituationen anzunehmen, die eigene Identität anzunehmen oder in eine neue,
selbstgestellte hineinzuwachsen. Nach einer Entscheidungsphase entscheiden sich
einige Frauen für einen neuen Namen, andere behalten den ihren. Damit kann das
Ritual beginnen, das für eine Namensgebung gewählt wurde.
Das Ritual beginnt mit:
BeSchem BaSchem Elokai Yisrael
Mi'mini Michael u'mi'smoli Gavriel
U'milfanai Urial m'achorah Rephael
V'al roschi v'al roschi Schechinat El.
Im Namen des Namen, des Gottes Israel
Rechts von mir Michael, links von mir Gabriel
Und vor mir Uriel und hinter mir Raphael
Und über mir und um mich herum Schechinat El.
Wir führen alle gemeinsam dabei Bewegungen in die Richtung aus, in der die
namentliche benannten Engel stehen und die Anwesenheit Adonais.
Dann wird Bereschit: 32:25-32 vorgetragen, wo Jakob den Namen Israel erhält. Dem
schließt sich eine Meditation über den neuen Namen an.
Jede einzelne spricht dann den Segensspruch für die Namensgebung.
Harejni mekabelet alaj et haschem ..(hier wird der neue Name eingefügt)......
Danach wird gesagt:
Eine Eschet Chajil bist du
Eine Eshet Chajil bin ich
Eine Frau deines Volkes
Eine Frau meines Volkes
Dein Herz folgt deinem Mut
Mein Herz folgt meinem Mut
Du gehst deinen Weg durch die Wildnis
Ich gehe meinen Weg durch die Wildnis
Du grüßt die Kraft deines Geistes
Ich grüße die Kraft meines Geistes
Du bist eine Tochter deines Volkes
Ich bin eine Tochter meines Volkes
Eine Eschet Chajil bist du
Eine Eschet Chajil bin ich
(Rabbinerin Lynn Gottlieb, in "She Who Dwells Within", S. 151)
Mit dem Schehechejanu und Aschrej schließen wir die Zeremonie unter dem Tallit
ab. Viele der Frauen, die sich einen neuen Namen gegeben haben sind sehr bewegt.
Aus einzelnen Teilnehmerinnen ist eine Gruppe geworden.
Dieses Ritual hat allen gefallen, sowohl denjenigen, die sich einen neuen Namen
ausgesucht hatten als auch denjenigen, die sich nach Überlegung für den alten
entscheiden konnten. Dieser gesamte Vorgang ist bewegend gewesen und sicherlich
war die Zeit, sich einen neuen zu überlegen zu kurz. Dennoch schien es mir ein
guter Weg, sich mit Namen und Namensgebung zu befassen. Die jüdische Tradition
des Namenswechsels ist in der Tora belegt und deutet immer auf einen neuen
Lebensabschnitt hin. Der Name kann den neuen Abschnitt beschreiben oder auch,
wie es einige Teilnehmerinnen machten, eine Eigenschaft ausdrücken, in die man
hineinwachsen möchte und die ein Ziel oder eine Lebensperspektive ausdrückt.
Dies gemeinsam zu feiern ist in dem Workshop gelungen. Ein Gang in die Mikwe
könnte sich anschließen.
DG /
hagalil.com / 03-06-05
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