Herr Brenner, heute werden Sie den
Vorsitz der Jüdischen Gemeinde zu Berlin wegen der Wahl Ihres Nachfolgers
aufgeben. Sind Sie traurig?
Was heißt traurig? Ich sehe es sicherlich mit einem
lachenden und einem weinenden Auge. Manche Dinge werden mir fehlen, andere
werden mir gut tun. Ich kann jetzt entspannen.
Worauf freuen Sie sich?
Auf etwas mehr Ruhe. Vor allem auf etwas weniger
Ärger - Sie wissen, ich hatte keine sehr leichten knapp drei Jahre hinter mir.
Ich hatte ja weder im Vorstand der Gemeinde noch im Gemeindeparlament, der
Repräsentantenversammlung, eine Mehrheit. Ich habe deshalb noch nie so viel und
so unproduktiv gearbeitet (lacht). Ja, so war es.
Sie haben nicht erreicht, was Sie bei
Amtsantritt vorhatten: Gräben zuzuschütten innerhalb der Gemeinde. Im Gegenteil
- im Vorstand wurden Sie gemobbt, die Gräben in der Repräsentantenversammlung
waren in den drei Jahren tiefer denn je. Am Ende gab es vorgezogene Neuwahlen,
die ersten seit 1945.
Unter "Gräben zuschütten" verstand ich eine
besseres Verhältnis zu den russischsprachigen Neueinwanderern in der Gemeinde -
auch wenn diese Gruppe selbst heterogen ist. In Russland wurden sie mit allen
Klischees als "Juden" beschimpft, hier als "Russen". Diese Gräben wollte ich
zuschütten. Und auch wenn die Zeit dabei eine Rolle spielt: Allmählich geht es.
Aber im Vorstand waren die Gegensätze sehr groß - um es euphemistisch
auszudrücken.
Sind Sie gescheitert?
Das würde ich nicht sagen. Aber innerhalb des
Vorstandes gab es eine nicht sehr gute Stimmung, das muss ich sagen. Ich war ja
relativ neu. Es war ein Fehler von mir, kein Referat oder Dezernat zu
übernehmen, da ich glaubte, mich den übergeordneten Aufgaben widmen zu müssen.
Das Ergebnis war, dass ich völlig übergangen worden bin. Das brachte den Ärger.
Es wurden Dinge unternommen ohne mein Wissen. Das war nicht gut.
Sind bei Ihnen Wunden zurückgeblieben?
Zum Teil ja. Da gab es auch Schläge unter die
Gürtellinie. Die Jüdische Gemeinde ist ein politischer Mikrokosmos mit vielen
Konfliktherden. Das war teilweise etwas zu viel für mich.
Der Haushalt 2004 ist noch nicht
verabschiedet. Es gibt ein Finanzloch von 1,4 Millionen Euro. Keine gute Bilanz,
oder?
So schlimm ist es nicht bei einem Etat von etwa 25
Millionen Euro. Sicher ist es schlecht, dass man ein Minus hat. Aber so schlimm
ist es nicht im Vergleich zu anderen Organisationen.
Zum Erzbistum etwa.
Ja. (lacht) Es ist ein schwacher
Trost, aber es ist so. Nicht nur im Vergleich zum Erzbistum. Das Defizit ist
nicht gut, aber es wurde im vergangenen Jahr kleiner, wodurch auch immer. Ich
hoffe, dass es dem neuen Vorsitzenden gelingt, das Defizit weiter zu reduzieren.
Wir haben als Gemeinde eben einige Aufgaben, bei denen wir auf jeden Fall
zuzahlen, etwa bei den Schulen, den Synagogen und dem jüdischen Restaurant.
Gleichwohl lässt sich sparen bei der Verwaltung. Sie existiert seit 60 Jahren
und war notwendig. Aber jetzt gibt es ein paar alte Zöpfe, die unter einem
gewissen Schmerz abgeschnitten werden sollten. Aber es ist wie überall: Alle
sagen, wir müssen sparen, aber nicht bei mir.
Wie viele Mitarbeiter müssten
eigentlich gehen?
Das kann ich schlecht sagen. Aber meiner Ansicht
nach könnte man auf einen Teil des Personals verzichten. Das wird für den neuen
Mann sehr schwierig sein. Aber er hat, im Gegensatz zu mir, die Chance: Er hat
eine erhebliche Mehrheit sowohl in der Repräsentantenversammlung wie im
Vorstand, so dass er solche unbequemen Maßnahmen durchführen kann.
Was ist Ihnen gelungen?
Ja, das ist eine gute Frage. (lacht)
Bei einigen politischen Fragen gab es einen Konsens. Zum einen der Kampf gegen
Rechtsradikalismus und Antisemitismus. Da haben wir einiges durchgeführt, etwa
bei der Affäre Möllemann. Erfolg gab es auch bei der Integration der Zuwanderer,
etwa bei Jugend- und Studentengruppen. Auch an den Gottesdiensten nehmen
zunehmend Gemeindemitglieder teil, die aus der UdSSR stammen. Das ist aber nicht
allein auf mich zurückzuführen. Einen Konsens gab es auch bei der Verbundenheit
mit Israel.
Ist das Verständnis für Israel in
Deutschland gesunken?
In der jüdischen Gemeinschaft hat die Solidarität
mit Israel zugenommen - wegen eines zunehmenden Neo-Antisemitismus, der
undercover auftritt als neuer Antizionismus oder Antiisraelismus. Das sehe ich
bei unseren Studentengruppen und unseren Jugendlichen. In der nichtjüdischen
Öffentlichkeit gibt es ganz klar eine Zunahme von Antisemitismus. Zumindest
tritt er offener auf als früher - unter der Maske des Antizionismus. Es gibt
Vergleiche mit den Nazis. Es ist eine Dämonisierung Israels, und die nimmt zu.
Da gibt es gar keinen Zweifel. Nicht nur in Deutschland übrigens. Sie kennen ja
diese europaweite Umfrage, die, trotz ihrer Schwächen, festgestellt hat, dass
den Europäern Israel zu 59 Prozent als die "größte Kriegsgefahr" in der Welt
gilt. Das stimmt einen nachdenklich.
Sind Sie froh, dass Sie Ihre
Personenschützer nun los sind?
Jein. Man hat sich daran gewöhnt. Und dann ist es
bequem.
Warum?
Man wird überall hingebracht, braucht nicht zu
parken. Andererseits ist das natürlich ein Einschnitt ins Privatleben. Auch da
ein weinendes und ein lachendes Auge.
Was hat Spaß gemacht in Ihrer Zeit als
Gemeindevorsitzender?
Die politische Seite hat mir Spaß gemacht, auch
wenn es zu Konflikten kam. Es waren sachliche Debatten, die man auf relativ
hoher Ebene führt. Man setzt sich ein für Probleme, mit denen man sich als
gewöhnlicher Sterblicher sonst nicht auseinander setzt. Auch der Umgang mit der
Presse hat Spaß gemacht. Selbst wenn es nicht konfliktfrei war.
Ihr Vater hatte ja einen Buch- und
Zeitungsladen. Wollten Sie mal Journalist werden?
Ja, zu prähistorischen Zeiten habe ich mal
geschrieben. Ich hatte sogar ein Pseudonym: "Alexander Bunsen".
Man wird von der Presse auch oft hart
angepackt.
Na ja, das gehört zum Job, besonders heute
wahrscheinlich. (lacht) Es macht Spaß, auch wenn es
masochistisch ist.
Jetzt steht die Gemeinde angesichts der
großen Mehrheit der Gruppe Ihres designierten Nachfolgers, Albert Meyer,
offenbar vor einem Neuanfang …
… ob es ein richtiger Neuanfang wird und alle
Reformen gelingen, wird sich herausstellen. Zudem ist Meyers Gruppe sehr
heterogen. Selbst Herr Meyer kennt seine gesamte Gruppe noch gar nicht so gut -
er hat ja auch nicht damit gerechnet, dass er so viele Leute in die Repräsentanz
bekommt.
Aber deutlich ist auch, dass es einen
Schwung hin zu den Liberalen gibt.
Das würde ich nicht sagen. Das sind Etiketten. Ich
kenne ebenso viele illiberale Liberale wie liberale Orthodoxe.
Sie kehren zurück in die Pension: Was
haben Sie vor? Mehr lesen?
Auch das. Allerdings bleibe ich vielleicht noch in
ein paar Gremien, etwa im Zentralrat. Vielleicht schreibe ich auch etwas.
Über die Erfahrungen als
Gemeindevorsitzender?
Auch das. Ich habe ja ein bewegtes Leben hinter
mir.
Sie müssen ganz ehrlich sein!
Können Sie mir einen Memoirenschreiber nennen, der
100-prozentig ehrlich war?
taz
vom 7. Januar 2004