Ausstellung:
"Gruss aus Bad Kissingen"
Eine Ausstellung im Kommunikationsmuseums befasst sich mit
judenfeindlichen Postkarten...
Von Judith Kessler
"Es küsst dich recht oft auf’s Nasenspitzerl Dein
Karlibub" steht auf einer Postkarte, die im Kommunikationsmuseum nicht etwa
ausgestellt ist, weil "Karlibub" 1899 offenbar heftig in „Spatzerl" verliebt
war, sondern weil er seine Botschaft neben eine, „Verfolgter Hirsch"
überschriebene Karikatur gequetscht hat, die einen Juden zeigt, der vor einem
kläffenden Köter und jubelnden Kindern flüchtet, die ihn mit Schneebällen
bewerfen. Solche Karten, die ihren „Witz" aus dem Gegensatz zwischen einem
stolzen Namen wie eben Hirsch (Bär, Löwe) und einer abgebildeten Jammergestalt
ziehen, sind zahlreich unter den 400 Postkarten des Berliner Sammlers Wolfgang
Haney, die derzeit in der Ausstellung „Abgestempelt" zu sehen sind. Zusammen mit
Flugblättern, Grafiken und einem detailreichen Katalog belegen sie die
historische Entwicklung der jüdischen Bilderstereotype vom Mittelalter bis in
die Gegenwart.
1870 wurden in Deutschland die ersten Correspondenz-Karten
gedruckt, um 1900 lag die Produktion bereits bei 500 Millionen Karten jährlich.
Wie Litfaßsäulen und Witzblätter waren sie Multiplikatoren der öffentlichen
Meinung, derer sich die erstarkende antisemitische Bewegung gern bediente.
Postkarten gingen durch unzählige Hände, sie konnten Stereotype verbreiten,
bestätigen und im Bewusstsein festsetzen. Weigerte sich die Post anfangs noch,
antisemitische Karten zu befördern, war es schon bald durchaus üblich, die
bunten Karten mit ihrem platten Humor und den selbst gestrickten
Kausalzusammenhängen zu sammeln oder zu verschicken – mal mit Erläuterung zum
Bild, meist aber ohne Bezug, einfach so: „Herzliche Sonntagsgrüße von uns allen,
Deine Mutter".
Viele Karten wirken „harmlos" und wurden sicherlich
gedankenlos verschickt. Dennoch bereiteten sie den Boden für die Enthemmung, die
letztlich zur Ermordung der als minderwertig-schädlich Dargestellten führte. Die
Ausstellung zeigt in 17 Abteilungen sowohl die fließenden Übergänge vom Jux zur
scharfen Ausgrenzung als auch die Breite des Spektrums dieser Karten, die es in
allen Variationen und zu allen Themen gibt. Die „Gruß von der Musterung"-Karten
beispielsweise, mit denen Angehörigen das Musterungsergebnis mitgeteilt wurde,
operierten mit dem „Gag", Juden als wehruntauglich darzustellen: Der Jude rennt
also in die falsche Richtung, hält das Gewehr falsch, drückt sich, wo er kann,
oder fällt bei der Musterung als rachitisch, krummbeinig, zu dürr oder zu fett
durch (in der Realität war jeder sechste deutsche Jude Teilnehmer am Ersten
Weltkrieg). Die angeblichen Besonderheiten der Physignomie oder des Habitus
(fliehende Stirn, krumme Nase, Wulstlippen, Plattfüsse, wildes Gestikulieren,
jiddelndes Deutsch) finden sich auf fast allen Postkarten, sie sollten Juden
dort, wo sie sich äußerlich nicht mehr von anderen unterschieden, „erkennbar"
machen.
Eines der Lieblingssujets war jedoch der optisch durchaus
erkennbare arme (verlauste, nach Knoblauch stinkende) „Ostjude", der dem
Deutschen den Platz wegnimmt und ihn notorisch betrügt („Der Jude fälschet
überall, er färbt sogar das Pferd im Stall..."). Gern als schwarzer (Unglücks-)
Rabe mit großem Schnabel gezeichnet, wurde das Stereotyp des „Ostjuden" zugleich
auf den assimilierten (getarnten) „Westjuden" übertragen. Dieser wiederum treibt
auf den Bildern als geldgeiler Wucherer („Elias Nimmersatt") sein Unwesen. Mit
Emanzipation und neuen ökonomischen Freiheiten wird aus ihm der fette, mit
Klunkern behängte „Bankier", „Börsianer" oder „Kapitalist" oder aber der
Intellektuelle (Anwalt, Psychiater, Journalist), der wahlweise für die
kapitalistische oder die kommunistische Weltverschwörung zuständig ist.
Ein anderes populäres Klischee war das jüdische „Mannweib" (generell auch die
Frau auf dem Weg zur Emanzipation) und der „weibische" Jude, denn als Norm galt,
männlich und Nicht-Jude zu sein. Sein Gegenstück bildete der jüdische
„Sexprotz", so dass entweder schmierige Lustmolche dargestellt wurden, die
deutsche Frauen anbaggern oder feige Schwächlinge, die sich von ihren – sie in
Höhe wie Breite überragenden – Gattinnen beherrschen lassen.
Erotik
spielte auch auf den „Bäderkarten" eine große Rolle. Um 1900 war es in der
Oberschicht en vogue zum Kuren nach Karlsbad, Marienbad oder Bad Kissingen zu
fahren. Die Karten, die man von dort nach hause schickte, kommentierten das oft
erstmalige Aufeinandertreffen osteuropäischer Juden und westlicher Gäste,
parodierten vornehmes Getue jüdischer Neureicher und nutzten gern
Anzüglichkeiten wie vor der Toilette anstehende Juden oder die jüdische
"Matrone" – so die nackte, schmutzige "Rebekka im Bade", von deren Händen
Moorschlamm wie Blut tropft, und zu der die "deutsche" Bademeisterin den
weiß-reinen Gegensatz bildet.
Urlaubsorte wie Zinnowitz oder die
Nordseeinsel Borkum forderten auf ihren Karten: "…doch wer hier naht mit platten
Füßen, mit Nasen krumm und Haaren kraus, der soll nicht deinen Strand genießen,
der muss hinaus". Ein Frankfurter Hotelier bewarb seine Gäste bereits 1896 mit
Karten, auf denen "Judenfrei!" stand und auch die Aufforderung "Kauft nicht bei
Juden!" ist keine Erfindung der NS-Zeit, sondern zierte Postkarten schon zur
Jahrhundertwende. Zu dieser Zeit hatten antisemitische Parteien längst begonnen,
die Auswanderung der Juden zu propagieren. Es gab die "Freifahrkarte nach
Jerusalem… hin und nicht wieder zurück" und jede Menge Bilder, auf denen Juden
per Fußtritt aus der Kneipe, der Stadt oder dem Land befördert wurden.
Allerdings waren solche Postkarten keine deutsche Spezialität. Im zaristischen
Russland, aber auch in der Sowjetunion wurden Juden vorzugsweise als
Kapitalisten, Ratten oder Spinnen dargestellt, die die bestehende Ordnung
untergraben oder später als "internationaler Zionismus" die Welt bedrohten. Auf
tschechischen und polnischen Karten sind Juden als betrügerische Schankwirte zu
sehen, sie ziehen brave Arbeiter am Nasenring hinter sich her oder verkleiden
sich vergeblich (da an den Nasen immer noch erkennbar) als polnische Bergbauern
(englische Karten „entlarven" ihrerseits Dudelsack spielende Juden im
Schottenrock). Auf amerikanischen Karten geht es selten um einen Schaden für die
eigene Nation, sondern Juden werden "nur" als Fremde und/oder Wucherer
verspottet ("Belief me" – warnt in falschem Englisch vor Juden mit Zigarre und
protzigem Brillianten). In Frankreich sind die Darstellungen meist mit Personen
jüdischer Herkunft (Alfred Dreyfus, Léon Blum) verknüpft, die exemplarisch für
die ganze "Gattung" stehen sollen. Zuletzt orientiert sich der Stil jedoch auch
hier an deutschen Vorbildern: Juden sind Ratten, die am französischen Käse nagen
oder sie lauern, das Messer in der Hand, hinter dem ahnungslosen Franzosen. Bei
der "Konkurrenz" stoßen die "jüdischen Kriegsgewinnler" wiederum dem
"unbesiegbaren" deutschen Heer (in Gestalt eines im Schützengraben hockenden
Soldaten) den Dolch in den Rücken.
Diese eindeutigen Agitationsbilder,
die mit den Witzbildchen vor dem Ersten Weltkrieg nur noch wenig gemein haben,
dürften – wie die nun gängige Hetze ("Centralverein deutscher Staats-Würger
jüdischen Glaubens") gegen jüdische Persönlichkeiten von Rathenau bis Mühsam –
den Nationalsozialisten mit zum Sieg verholfen haben. Das
NS-Propagandaministerium ließ dann auch nach den Olympischen Spielen 1936 die
Maske endgültig fallen. Nun gab es keine Karikaturen mehr, sondern Fotografien
mit zynischen Bildunterschriften – "Säuberungsaktion", Kleinstadtjuden
("Kulturvolk") in Polen oder Stadtansichten mit Aufklebern: "Was hier an dieser
Stelle stand/Aus Nürnberg endlich ist verbannt" – gemeint war die Synagoge.
Das Ende des Ausstellungsrundgangs bilden – folgerichtig – Torarollen, die von
deutschen Soldaten in Polen zum Verpacken ihrer Pakete benutzt wurden, und noch
die Adressaufkleber tragen.
"Abgestempelt. Judenfeindliche
Postkarten", bis 15. Februar 2004 im Museum für Kommunikation, Leipziger
Straße 16, Di-So 9-17 Uhr, Sa 11-19 Uhr
Erstveröffentlichung
in: Jüdisches Berlin, Januar 2004
Kulturveranstaltungen in Berlin
Juden und jüdisches Leben in Berlin
IW /
hagalil.com / 2004-01-24
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