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Pioniere in Celluloid::
Juden in der frühen Filmwelt

Zu den Berliner Filmfestspielen wird eine neue Sonderausstellung der Stiftung "Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum" eröffnet...

Von Irene Stratenwerth

Sie nannten sich Joe May, oder Joseph Delmont, Richard Oswald, oder Max Mack, Paul Leni oder Carl Grune: Namen, zum Teil schon für den internationalen Markt gemacht, sicher aber für den Aufbruch aus vorgezeichneten Existenzen, die Einen erwarteten, der Ornstein, Grünwald, Myrthenzweig oder Levi hieß.

"Pioniere in Celluloiud. Juden in der frühen Filmwelt" ist der Titel einer Sonderausstellung, die vom 1. Februar bis Anfang Mai 2004 in den historischen Räumen der Stiftung "Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum" zu sehen ist. Sie erzählt nicht nur aus besonderer Perspektive von den Gründerjahren der deutschen Filmbranche in Berlin, sondern auch von der Entstehung und vom Scheitern einer Utopie: Das Kino ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts der atemberaubendste, sichtbarste und aufregendste Ausdruck dafür, dass ein neues Zeitalter anbricht.

Für eine kurze Zeit sieht es so aus, als könnte das neue Medium dazu beitragen, die überkommenen Schranken zwischen den Nationen, Religionen und sozialen Schichten endgültig zu überwinden: Für die Filmschaffenden selbst und zugleich für ihr Publikum. Zu den Erbauern der Filmstadt Berlin gehören jüdische Filmpioniere wie Jules Greenbaum, ein gebürtiger Berliner, der 1895 mit seiner Familie aus Chicago in die Heimatstadt zurückkehrt. Ab 1898 vertreibt er hier Kinematographen-Apparate und Filme; bald dreht er auch selber "lebende Photographien" von den Urlaubsreisen des Kaisers.

Oder Paul Davidson, ein Textilkaufmann aus Frankfurt am Main, der 1904 sein erstes Kino in Mannheim eröffnet und ab 1908 seine prunkvollen U.T. Lichtspielpaläste in Berlin einrichtet – am Alexanderplatz, Unter den Linden oder am Kurfürstendamm. Zehn Jahre später ist Davidson in der neu gegründeten Ufa der wichtigste Mann für die Filmproduktion. Dutzende, Hunderte Namen wären in die Chronik des jüdischen Filmschaffens einzuschreiben: Etwa Max Mack und Carl Wilhelm, zwei Regisseure, die 1913 ihre ersten abendfüllenden Spielfilme mit renommierten Theaterschauspielern wie Albert Bassermann und Rudolf Schildkraut drehen; Paul Leni, das Multitalent als Plakatmaler, Filmarchitekt und Regisseur oder Karl Freund, über Jahrzehnte hinweg ein Pionier der Filmkamera. Joseph Delmont, Regisseur und Hauptdarsteller von "Filmsensationen" mit wilden Tieren und waghalsigen Verfolgungsjagden oder Carl Mayer, der versponnene Autor von Filmstoffen wie "Das Cabinett des Dr. Caligari"; Joe May, der 1919 monumentale Kulissenwelten in die Woltersdorfer Heide baut, oder Richard Oswald, der im selben Jahr den ersten Schwulenfilm der Kinogeschichte dreht.


Das Tempelhofer Atelier der PAGU um 1913. Aufnahme Waldemar Titzenthaler, Stiftung Deutsche Kinemathek – Filmmuseum Berlin

Und natürlich ein Konfektionslehrling namens Ernst Lubitsch, der erst die Herzen der Berliner Kinozuschauer und dann den internationalen Markt im Sturm erobert. Wer Jude ist und wer nicht, das ist in der neuen Branche zunächst kaum von Belang. Jüdische Sujets werden als Filmstoffe aufgegriffen, wie viele andere literarische, volktümliche oder exotische Vorlagen, die in atemberaubendem Tempo in Celluloid umgesetzt werden: Ob nun ein alttestamentarischer Stoff wie "Das Buch Esther" oder die Golem-Sage aus dem Prager Getto, ob der "Shylock von Krakau" oder die umstrittenen Possen der Gebrüder Herrnfeld.

Deren Theater – zunächst am Alexanderplatz, später in der Kommandantenstraße - erfreut um die Jahrhundertwende ein sehr gemischtes Publikum mit deftigen Scherzen aus dem ostjüdischen Zuwanderer-Milieu. Filme wie "Endlich Allein" (1913) oder "Familientag im Hause Prellstein" (1927), aber auch die Lubitsch-Komödien um einen aufstiegsorientierten Lehrling mit erotischem Tatendrang, knüpfen an die Sujets und Protagonisten des Herrnfelds an. Populistische Anbiederung an antisemitische Klischees oder selbstbewusstes Spiel mit Stereotypen und Selbstironie? Die Diskussion, die damals wie heute kontrovers geführt wird, ist auch im umfangreichen Begleitband der Ausstellung dokumentiert.


Ernst Lubitsch in "Der Stolz der Firma" (Regie: Carl Wilhelm, 1914). Bundesarchiv-Filmarchiv, Berlin

Kino zwischen den Welten

Im Kino entdecken um 1910 nicht nur jüdische Kaufleute, Schriftsteller, Schauspieler, Regisseure, Musiker und bildende Künstler ihre Zukunft. Auch für das jüdische Publikum wird der Film zum wichtigen Wegbegleiter beim Aufbruch in die Moderne: In ihre osteuropäischen und russischen Ansiedlungsgebiete bringt das Kinematographentheater die ersten "lebenden" Bilder aus jener Neuen Welt, in die rund zwei Millionen von ihnen zwischen 1850 und 1920 emigrieren. Und auch dort, in den Einwanderergettos von New York und Chicago, werden so genannte Nickelodeons bald zum beliebtesten Zeitvertreib: Mit Aktualitäten aus ihrer Heimat, mit der Verfilmung jiddischer Theaterstücke und herzzereißender Getto-Dramen schlägt das Kino die Brücke zwischen den Welten.

So klischeehaft die Darstellung jüdischer Lebenswelten in diesen frühen Filmen oft wirkt, so sehr bietet das neue Medium seinen Betreibern die Chance zum Ausbruch aus tradierten Rollen. Für die jüdischen Einwanderer, die um 1907 beginnen, ins amerikanische Filmtheater-Geschäft zu investieren, wird mit dem Aufstieg des Kinos zur Unterhaltungskultur für Alle ein amerikanischer Traum wahr. Die Firmen, die sie damals gründeten, haben im internationalen Filmgeschäft bis heute gewichtige Namen: Etwa Metro-Goldwyn-Mayer, Paramount Pictures oder Warner Bros..

"Entertaining America. Jews, Movies and broadcasting" – mit der besonderen Rolle von Juden im Unterhaltungsgewerbe und besonders in Hollywood beschäftigte sich im Jahre 2003 eine Ausstellung des Jüdischen Museums in New York. Dort konnten jüdisch-amerikanisches Entertainment aus einem ganzen Jahrhundert, bis in die Gegenwart präsentiert werden. In Deutschland endet diese Geschichte 1933. Antisemitische Ressentiments und Angriffe haben den Aufbau der Filmbranche von Anfang an begleitet. Zwar erkennen Regierung und Oberste Heeresleitung im Ersten Weltkrieg die große politische und wirtschaftliche Bedeutung des Kinos, und sind auf die Zusammenarbeit mit den vielen jüdischen Produzenten zunächst angewiesen.

Das Publikum in Berlin lacht 1916 einfach lieber über einen subversiven Schlingel namens Lubitsch, als sich in martialische Propagandafilme wie "Unsere Helden an der Somme" zu bemühen. Zwar tun sich Deutsches Reich und Deutsche Bank 1917 zusammen, um als Gründungskapital für die Ufa große Teile der Berliner Filmbranche aufzukaufen. Doch angesichts der bunten Mixtur aus Komödien, Kriminalfilmen und exotischen Kolossalwerken, die Davidson, Lubitsch, May und Co. als erste Ufa-Produktionen vorlegen, soll General Ludendorff "getobt" haben. So hatte er sich das vaterländische Filmschaffen nicht vorgestellt.

Der Konflikt zwischen der bunten Internationalität der Filmleute und dem Erstarken rechts-nationaler Tendenzen zieht sich durch die zwanziger Jahre. Als im Jahre 1919 für eine kurze Zeit die Filmzensur abgeschafft ist, kommt es zunehmend zu antisemitischen Störaktionen in Kinos, etwa bei der Vorführung der sogenannten Aufklärungsfilme, die Richard Oswald in Zusammenarbeit mit dem Sexualforscher Magnus Hirschfeld produziert. In der Nationalversammlung hält der Abgeordnete und bekennende Antisemit Reinhard Mumm flammende Reden gegen die Filmbranche – unter dem Beifall fast aller Fraktionen. Die Filmwelt aber reagiert auf die antijüdischen Feindseligkeiten auf ihre eigene Weise und dreht in Berlin zwischen 1919 und 1923 eine ganze Reihe großer Spielfilme, die das Thema Antisemitismus und jüdische Lebenswirklichkeit historisch aufgreifen.


Filmszene aus "Die Geächteten" (Regie: Joseph Delmont, 1919). Deutsches Filminstitut – DIF, Frankfurt am Main

1921 etwa inszeniert der dänische Regisseur Carl Dreyer "Die Gezeichneten" in Berlin-Lankwitz. 600 russiche und jüdische Flüchtlinge werden dabei als Statisten eingesetzt und spielen Pogromszenen von beklemmendem Realismus. 1922 werden in Berlin Weissensee ein ostjüdisches Dorf und ein paar Straßenzüge aus Wien als Filmkulisse gebaut, der Regisseur Ewald A. Dupont realisiert "Das Alte Gesetz": Ernst Deutsch steht als Rabbinersohn Baruch vor der Kamera, und das Berlin Publikum durchleidet später mit ihm, zweieinhalb Stunden lang, den Konflikt zwischen der jüdisch-orthodoxen Tradition seines Elternhauses und seinem Wunsch, Schauspieler und assimilierter Bürger zu werden. Ausschnitte aus diesen beiden Filmen sind – neben zahlreichen weiteren Beispielen - in der Ausstellung zu sehen.

Viele andere der damals entstandene Produktionen aber sind heute nur noch in Form von Programmzetteln und Rezensionen dokumentiert. Die Filme selbst sind zerstört oder verschollen, oder sie lagern als hochempfindliches Nitromaterial irgendwo in Archiven, denen das Geld fehlt, um das historisch unschätzbar wertvolle Material zu konservieren und der Öffentlichkeit wieder zugänglich zu machen.

Auszug nach Hollywood

Der Exodus jüdischer Filmschaffender aus Berlin beginnt 1922, als Ernst Lubitsch dem Ruf aus Hollywood folgt. Andere erfolgreiche Kollegen wie E.A. Dupont, Paul Leni, Erich Pommer oder Karl Freund folgen ihm später. Zwar erlebt Deutschland in den Zwanziger Jahren die eigentlich Blütezeit des Stummfilms, werden gerade in jenen Jahren laufend neue Genres erfunden, wie expressionistische Filme, sozialkritische Kammerspiele, Aufklärungsfilme oder historische Monumentaldramen. Doch die wirtschaftliche Situation in Deutschland ist drückend, die amerikanischen Angebote sind attraktiv, und im Stummfilm gibt es für die internationalen Vermarktung des eigenen Talents keine Sprachgrenzen.

Der Auszug nach Hollywood, aber auch nach England und Frankreich, wird zum künstlerischen Aderlass für die deutsche Filmbranche – und rettet später nicht nur den Filmemigranten selbst das Leben. Diejenigen, die nach 1933 nicht mehr zurückkehren können, ermöglichen vielen ihrer jüdischen Freunde und Kollegen Flucht und Überleben im Exil. Andere, bislang unbekannte Schicksale jüdischer Filmpioniere – wie das des Filmpublizisten Alfred Rosenthal (Aros) oder des Schauspielers und Regisseurs John Gottowt – konnten erst jetzt, im Rahmen der Recherchen für das Ausstellungsprojekt aufgeklärt werden: Sie endeten nach jahrelanger Flucht durch ganz Europa mit der Ermordung durch das NS-Regime.

Im Mittelpunkt von Ausstellung und Begleitband aber stehen nicht die Jahre der Verfolgung und Emigration, sondern die Produktivität und Vielfalt der jüdischen Filmschaffenden in Berlin, in den Jahren zwischen 1910 und 1925. Die wichtigsten Exponate sind dabei immer wieder die Filme selbst: Eine Kinolandschaft in drei Räumen macht die Schau zum begehbaren Stummfilmfestival, ergänzt und erläutert durch Texte, Bilder, Objekte und mediale Inszenierungen. Eine enge Zusammenarbeit mit dem Filmmuseum Berlin, dem Bundesarchiv-Filmarchiv, außerdem filmhistorischen Institutionen und Museen in Berlin, Frankfurt, München, Wien, Amsterdam, London, New York und Boston haben die komplexe Präsentation ermöglicht; finanziell wurde das Projekt vor allem durch die Stiftung Deutsche Klassenlotterie, außerdem durch den Hauptstadtkulturfonds und die DEFA-Stiftung gefördert.

Die Unterstützung und das Interesse, das diesem Projekt bereits in der über zweijährigen Forschungs- und Vorbereitungsphase entgegengebracht wurde, ist vielleicht Ausdruck der Ahnung, dass es hier um mehr gehen könnte als um ein weiteres bisher wenig beachtetes Kapitel jüdischen Lebens in Deutschland. Medienzeitalter, Wissensgesellschaft, Globalisierung und internationale Vernetzung sind heute die Schlagworte für eine Entwicklung, die mit der Erfindung des Kinos begann – die komplexe Medienwirklichkeit unserer Tage aber ist ohne den Beitrag von Juden zu dieser Geschichte kaum zu verstehen.

Irene Stratenwerth ist Kuratorin der Ausstellung und, gemeinsam mit Hermann Simon, dem Direktor der Stiftung "Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum", Herausgeberin des Begleitbandes.

IW / hagalil.com / 2004-02-19

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