Als Erich
Mendelsohn 1934 nach Palästina reist, ist er wenig begeistert über die neu
entstandenen Wohn- und Geschäftshäuser seiner Kollegen. "Ich und Le Corbusier",
so kommentiert er abschätzig deren Bauten. Die Aussage zeugt von Mendelsohns
Egozentrik und trifft doch genau ins Schwarze. Ob auf dem Rothschild-Boulevard
in Tel Aviv oder an den Hängen des Carmel in Haifa – das von Mendelsohn in den
zwanziger Jahren in Berlin entwickelte Formenvokabular ziert nahezu jeden
Neubau. Balkone über Eck, mit Lichtbändern betonte Treppenhäuser, dynamisch
gerundete Terrassen sind im Palästina der dreißiger Jahre zur
"Mendelsohn-Masche" geworden.
Eine ganze
Generation junger Architekten, in Europa ausgebildet, war vor den
Nationalsozialisten geflohen und hatte die gängigen Architekturjournale im
Koffer mitgebracht. Zu den gerne kopierten Ikonen der Moderne zählte gleich eine
ganze Reihe Mendelsohnscher Bauten, die derzeit als Modelle in einer großen
Retrospektive zu Leben und Werk des Architekten in der Berliner Akademie der
Künste zu sehen sind: das Verlagshaus Rudolf Mosse in der Berliner
Schützenstraße, der Woga-Komplex am Kurfürstendamm (die heutige Schaubühne), die
Schocken-Kaufhäuser in Stuttgart, Chemnitz und Nürnberg.
Mendelsohn ist durch
die zahlreichen "Bastardgebäude", wie er sie selbst nannte, nicht etwa
geschmeichelt. Der "Prophet des Betons" reagiert gekränkt und fordert, "man soll
zunächst einmal zehn Jahre lang dergleichen nicht mehr entwerfen", wie der
Architekturhistoriker Julius Posener berichtet. Mendelsohn lehnt im Gegensatz zu
vielen Architekten der Moderne jede Reproduktion ab. Ein Gebäude ist für ihn
immer ein Unikat. "Funktion ohne sinnlichen Beistrom bleibt Konstruktion",
schreibt er 1923 und kritisiert damit das Neue Bauen, das sich seiner Meinung
nach bereits in einer Alltagstauglichkeit verselbstständigte, in der nur mehr
das Serielle, das Praktische zählte.
Er will keine
Nachahmer; er spricht sich zugleich vehement gegen einen unreflektierten Import
der westlichen Moderne nach Palästina aus. Zwar passten die Kollegen die Moderne
an das Wüstenklima an – der Tel Aviver "Bauhausstil" unterscheidet sich vom
europäischen sehr wohl durch kleinere Fenster und verstärkten Sonnenschutz. Doch
das ging Mendelsohn nicht weit genug. Ihm schwebte eine "Ost-West-Synthese" vor,
eine Verbindung von europäischer Moderne und arabischer Architektur. Wie er 1940
schreibt, zeige der Wohnungsbau "die Tendenz einer viel zu starken Orientierung
an europäischen Mustern, während doch das Klima Palästinas eine Lösung vom
üblichen Grundriss fordert, um mehr Raum und bessere Ventilation zu erreichen.
Diese beiden Bedingungen werden von der Halle erfüllt, um die arabische
Stadthäuser herumgebaut sind und von den Einraumhäusern – beinahe Steinzelte –
der sesshaften Beduinen in Es-Salt."
Bereits 1923 hatte
Mendelsohn mit seiner Frau Luise Palästina bereist, als Tel Aviv noch ein
"kleiner, von Sand umgebener Ort war, in dem sich einige orthodoxe Juden
niedergelassen hatten und ihre paar Häuschen ohne Plan errichtet hatten", wie
Luise Mendelsohn in ihren nun in Auszügen veröffentlichten Memoiren "My Life in
a Changing World" schreibt. Mendelsohn war tief beeindruckt von den Bauten der
arabischen Dörfer, immer wieder betonte er, dass die "architecture without
architects" einen Baustil hervorgebracht hatte, in dem der Geist des Landes
atme.
Vor diesem
Hintergrund gerät sein erster Bauauftrag in Palästina, für den er 1934 anreist,
zu einem architektonischen Manifest. Während viele seiner Kollegen schnell und
billig Wohnraum für die zahlreich ins Land kommenden Einwanderer entwerfen, baut
Mendelsohn in der Nähe von Tel Aviv eine Villa für Chaim Weizmann, den
Präsidenten der Zionistischen Weltorganisation und späteren Präsidenten Israels.
Mitten in einen Orangenhain setzt er vier in sich ruhende Baukörper rund um
einen schattigen Innenhof mit Pool. Nach außen zeigt das Haus eine geschlossene
Wand mit winzigen Fenstern. Ein Mendelsohn-Bau, der auf den ersten Blick als
solcher nicht unbedingt zu erkennen ist: Vergessen scheint das
expressionistische Frühwerk – der Einsteinturm in Potsdam – ebenso wie die
bewegte Horizontalität seiner Bauten aus den zwanziger Jahren.
Hatte er die Villa
Weizmann noch weiß getüncht, zeigt sich sein nächster Bau in Palästina bereits
in Erdfarben. Die Schocken-Villa, die er für seinen ebenfalls aus Deutschland
emigrierten Bauherrn Salmann Schocken realisiert, ist ganz mit sandfarbenem
Naturstein, dem so genannten Jerusalemstein, verkleidet. Nach den beiden
Privathäusern folgen mehr und größere Aufträge, in denen er seine Suche nach
einem orientalisch-jüdischen Baustil fortsetzen kann: der Masterplan für die
Hebräische Universität Mount Scopus, die Anglo-Palestine Bank in Jerusalem und
der steinerne Medizin-Komplex der Hadassah-Universität. Deren Eingang ist durch
ein Tor markiert, das wie ein Lehrbeispiel der Mendelsohnschen Ost-West-Synthese
dasteht. Getragen von zwei schlanken Pilotis, den in der Moderne gerne
verwendeten Betonstützen, schwebt in der Höhe ein flaches Dach, auf das
Mendelsohn provokant drei arabische Kuppeln gesetzt hat.
Gegen Ende der
dreißiger Jahre hat Mendelsohn den Großteil seines Auftragsvolumens in
Palästina. Doch noch immer pendelt er zwischen Jerusalem und London, wohin er
1933 aus Berlin mit seiner Frau, der Cellistin Luise Maas, emigriert war.
Weshalb er an seinem Wohnsitz in London festhält, verrät Mendelsohn in einem
Brief 1933 an Kurt Blumenfeld, einer wichtigen Figur in der zionistischen
Bewegung: "Alle Jahre sah ich Palästina von meiner Hand aufgebaut, sein ganzes
Bauwesen von meiner Aktivität in einheitliche Form gebracht, seine geistige
Struktur von meiner Organisationsfähigkeit geordnet und einem Ziel zustrebend.
Aber Palästina hat mich nicht gerufen."
Mendelsohn hatte
sich nicht nur einzelne Aufträge, sondern eine führende Rolle beim Aufbau des
Landes erträumt. Seine zögerliche Haltung, ganz nach Palästina zu kommen, bringt
ihm dort den Ruf einer "Primadonna" ein. Die jüdischen Pioniere nehmen mehr und
mehr Anstoß an seiner "Gastrolle", die er in Palästina gibt. Als er 1939 dann
schließlich doch übersiedelt, kommt er, wie die Mendelsohn-Forscherin Ita
Heinze-Greenberg betont, "als Individualist, nicht als Zionist".
Zudem sind die
Mendelsohns seit den Zeiten der Weimarer Republik ein reges kulturelles Leben
gewohnt und pflegen Kontakte zu Briten, Arabern und Juden gleichermaßen.
Mendelsohns freundschaftliche Beziehung zu dem High Commissioner der Britischen
Mandatsregierung, Sir Arthur Wauchope, brachte ihm unter anderem 1936/37 den
Direktauftrag für das Regierungskrankenhaus in Haifa ein; unter Umgehung eines
öffentlichen Wettbewerbes, wie Kollegen anprangern.
Als 1941 im Zuge des
Zweiten Weltkrieges die Bautätigkeit in Palästina zum Erliegen kommt und das
Land selbst zum Kriegsschauplatz zu werden droht – Hitler steht mit seiner Armee
vor Ägypten –, packen die Mendelsohns erneut ihre Koffer und emigrieren in die
USA. Wie Ita Heinze-Greenberg erklärt, führt diese zweite Emigration dazu, dass
Mendelsohn in Israel lange missachtet wurde. Er galt als "Deserteur", als einer,
der das Land in der Aufbauphase verlassen hat.
Doch seit einigen
Jahren wächst das Interesse an moderner Architektur in Israel. Die Unesco
erklärte im Jahr 2003 das Zentrum Tel Avivs mit seinen über 4 000 Gebäuden im
Bauhausstil zum Weltkulturerbe. Auch Mendelsohn rückt wieder ins Blickfeld. Er
gilt heute in Israel als einer der Architekten, über die am meisten publiziert
wird. Derzeit läuft zudem eine viel beachtete Kampagne gegen den Abriss der
Schocken-Villa.
Während man in
Israel lange Zeit über Mendelsohn schwieg, hätte die deutsche Architektenschaft
sein Erbe am liebsten schon in der Nachkriegszeit vereinnahmt. Bereits kurz vor
seinem Tod im Jahr 1953 in San Francisco wurde er nach Darmstadt zu der
seinerzeit berühmten Tagung "Mensch und Raum" eingeladen. Doch Mendelsohn lehnte
Einladungen aus Deutschland konsequent ab, wie der Architektursoziologe Werner
Durth ausführt. Er habe nicht mit Kollegen zusammentreffen wollen, die die
Vertreibung der Juden aus Deutschland und den Völkermord billigend in Kauf
genommen hatten. Seine "Verweigerung, sich noch mal einzumischen in die
Nachkriegsdebatten und durch die eigene Präsenz ein Stück weit an der Entlastung
des neuen Staates der Bundesrepublik mitzuarbeiten, hat sicher nicht dazu
beigetragen, dass man ihn als einen der ganz großen Beweger der Moderne
entsprechend gewürdigt hat".
Erschienen in:
Jungle World, 3. März 2004
Erich Mendelsohn.
Dynamik und Funktion. Akademie der Künste in Berlin. Bis 2. Mai. Katalog bei
Hatje Cantz, Ostfildern-Ruit, 2004, 35 Euro
Ita
Heinze-Greenberg und Regina Stephan:
Louise und Erich Mendelsohn. Eine Partnerschaft für die Kunst. Hatje
Cantz, Ostfildern-Ruit 2004, 176 Seiten, 25 Euro
Günther Förgs
Fotografien:
Bauhaus Tel Aviv - Jerusalem
Klare Gebäudeformen, Fensterbänder, Flachdächer und Loggien charakterisieren
zahlreiche Häuser in Jerusalem und Tel Aviv. Dort entstanden im Verlauf der
30er- und 40er-Jahre rund 1.500 Bauten, die sich an den sozialen, technischen
und ästhetischen Vorstellungen der Bauhausbewegung orientierten...