Im Windschatten der
Haushaltsberatungen plant die SPD-geführte Innenverwaltung einen Schlussstrich
unter die Rentenversorgung der Opfer des Nationalsozialismus zu ziehen. Der
Gesetzentwurf, der am vergangen Donnerstag zur Beratung in den Innen- und
Haushaltsausschuss verwiesen wurde, sieht vor, dass neue Anträge nach dem
Berliner "Gesetz für die Anerkennung und Versorgung der politisch, rassisch oder
religiös Verfolgten des Nationalsozialismus" (PrVG) nur noch bis zum 31.
Dezember 2004 gestellt werden können. Das Gesetz gilt seit den 50er-Jahren.
Die beabsichtige Änderung sorgte
bei den Opferverbänden bereits für Kritik. In der PDS-Fraktion wird kleinlaut
darauf verwiesen, dass die geplante Änderung vom Koalitionspartner nicht
abgesprochen wurde.
Die Intention der Innenverwaltung
offenbare eine "kalte Schlussstrichmentalität", kritisiert Petra Rosenberg,
Vorsitzende des Landesverbandes Berlin-Brandenburg der Sinti und Roma. So heißt
es im Entwurf der Gesetzesänderung: Nach der geltenden Gesetzeslage sei eine
Antragstellung teilweise ohne zeitliche Begrenzung möglich, "obwohl die zur
Antragstellung berechtigenden Sachverhalte bereits lange abgeschlossen sind".
Dem Land Berlin fehle daher "Planungssicherheit" hinsichtlich der zu erwartenden
finanziellen Ansprüche. "Verlässlichere Planungsdaten" will der Senat nun über
die Schlussfrist erhalten.
Dabei handele es sich um "keine
unzumutbare Härte", wenn mehr als 58 Jahre nach Kriegsende dem "betroffenen
Personenkreis Gelegenheit zur abschließenden Entscheidung über eine
Antragstellung gegeben werde", heißt es in dem Gesetzentwurf.
Nach Auskunft des Jüdischen
Kulturvereins gilt das PrVG seit den frühen 50er-Jahren.
Derzeit liegt die höchstmögliche
Rente nach dem PrVG für Alleinstehende bei etwa 950 Euro monatlich, für
Verheiratete bei 1.100 Euro. Sämtliche weiteren Entschädigungsleistungen
beispielsweise nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) werden ebenso auf diese
Rente angerechnet. Das betrifft insbesondere Wohngeld oder Betriebsrenten, für
die lediglich ein geringer Freibetrag von rund 200 Euro für Alleinstehende und
400 Euro für Verheiratete vorgesehen ist. "Die Rentenempfänger leben damit nur
knapp über dem Sozialhilfesatz und erhalten nicht einmal Kleidergeld", klagt
Petra Rosenberg.
In den vergangen Jahren wurden die
PrVG-Renten durschnittlich um 0,3 Prozent angehoben, zuletzt 2001. Im gleichen
Zeitraum wurden die Leistungen der Kriegsopferfürsorge und die Versorgung der
Täter und deren Witwen regelmäßig erhöht.
Der Kreis derjenigen, die als so
genannte Leistungsberechtigte bezeichnet werden, ist eng definiert: Betroffen
sind und waren in Berlin lebende und durch Nazigewalt verfolgte Juden,
Angehörige von Widerstandsgruppen und verfolgte Kommunisten oder
Sozialdemokraten, Sinti und Roma, Homosexuelle sowie Euthanasie- und
Sterilisationsopfer.
Um anerkannt zu werden, müssen die
Betroffenen entweder zu Beginn ihrer Verfolgung in Berlin gelebt haben oder vor
dem 1. Januar 1991 nach Berlin zugezogen sein. Die berlinspezifische Rente wird
auf Antrag daher auch anspruchsberechtigten jüdischen Kontingentflüchtlingen aus
der ehemaligen Sowjetunion und den ehemaligen Ostblockstaaten gezahlt.
Allein bei dieser Opfergruppe
führt der Stichtag des 1. Januar 1991 zu erheblichen Ungerechtigkeiten. "Trotz
häufiger Nachfrage und zahlreicher Anträge wurde dieser Stichtag nicht
verändert, so dass schätzungsweise 600 überlebende Betroffene die Rente nicht
mehr erhalten, sondern in der Regel von Sozialhilfe leben müssen", kritisiert
Irene Runge, Vorsitzende des Jüdischen Kulturvereins Berlin.
Monatlich werden drei bis vier
Anträge gestellt, Tendenz fallend. Im Jahr 2001 wurden noch 87 Neuanträge
eingereicht, 2003 nur noch 50, wobei 34 Antragstellende weder eine Anerkennung
noch eine Versorgung erhielten. Durchschnittlich werden 20 Prozent der Anträge
abgelehnt. Zudem sterben jährlich fünf Prozent der PrVG-Rentenbezieher. "Diese
Wiedergutmachungsleistungen Berlins sind eingeführt worden, um den Verfolgten
den Gang zum Sozialamt zu ersparen", erinnert Rosenberg an die ursprüngliche
Intention des Gesetzgebers. Bei den jetzt von der geplanten
Schlussstrichregelung Betroffenen handelt es sich zumeist um Überlebende, die
aus dem sonstigen Bundesgebiet und aus dem Ausland, wie Argentinien, Bolivien
und den USA, aber auch aus den ehemaligen Ostblockstaaten nach Berlin
zurückkehren oder zuziehen.
Schon jetzt wurden im
Doppelhaushalt für die Jahre 2004/2005 die Leistungen aus dem PrV-Gesetz um fast
die Hälfte herabgesetzt. Dabei hat das Land Berlin durch die fünfprozentige
Sterberate schon im vergangenen Jahr 450.000 Euro gespart. Insgesamt zahlte das
Land im vergangenen Jahr rund 16 Millionen Euro aus. Während es 1990 noch 3.500
Beziehende gab, erhielten acht Jahre später nur noch 2.400 Überlebende Rente
nach dem PrVG.
Gestritten wird zwischen der
Innenverwaltung und den Opferverbänden auch über die Informationspolitik rings
um die geplante Gesetzesänderung. Während Irene Runge eine "heimliche
Vorbereitung ohne Abstimmung mit den Verfolgtenverbänden" kritisiert, behauptet
die Innenverwaltung, es habe intensive Gespräche mit dem im Gesetz verankerten
Beirat gegeben. Zudem lobt man sich in der Innenverwaltung selbst, dass mit der
Gesetzesänderung eine Angleichung der Renten an die Steigerungsraten des
Sozialhilfesatzes festgelegt werden solle und die Leistungsbezieher somit besser
versorgt würden.
Dagegen hält die
"Arbeitsgemeinschaft der Vertretungen politisch, rassisch und religiös
Verfolgter", dass in der NS-Zeit aus Berlin Vertriebene, die nach Ablauf des 31.
Dezember 2004 doch noch nach Berlin zurückkehren wollen, "dann weder eine
Anerkennung als politisch Verfolgte noch eine PrV-Rente erhalten". Zusagen auf
finanzielle Absicherung an ehemalige Berliner, die Senatsvertreter bei
Einladungen und Empfängen gemacht hätten, würden somit nicht erfüllt werden.
Bei der PDS bemüht man sich um
Schadensbegrenzung. So verweist Steffen Zillich, PDS-Abgeordneter im
Innenausschuss, darauf, dass beispielsweise Betroffene, die zur Zeit der
nationalsozialistischen Verfolgung im Kindesalter waren und jetzt knapp vor dem
Rentenalter stehen, auch durch die Gesetzesänderung nicht vom Kreis der
Anspruchsberechtigten ausgeschlossen würden. "Um diese Gruppe über den Stichtag
zu informieren, sollte es eine gezielte Informationskampagne geben", fordert
Steffen Zillich.
Eine klare Position für oder gegen den Schlussstrich am 31. Dezember 2004 gibt
es innerhalb der PDS jedoch nicht. "Wir halten es nicht für ausgeschlossen, dass
es einen Stichtag geben wird", so Zillich.
die tageszeitung
taz - die tageszeitung Berlin vom 25.02.2004
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