Dankesrede von Heinz Berggruen:
Nie ein verlorener Sohn
Die Dankesrede des Kunstsammlers und Mäzens Heinz Berggruen,
der zum Ehrenbürger Berlins ernannt worden ist...
Sie erleben mich, meine Damen und Herren, im Zustande der
Hilflosigkeit, dem Zustand einer Gene, wie die Franzosen sagen, die man auch als
Mangel an Zuständigkeit bezeichnen kann. Glauben Sie mir, das ist keine
Koketterie. Wie finde ich Worte des Dankes, die angemessen sind? Die Stadt hat
mir einen Doktortitel ehrenhalber verliehen, und ich war der Mühe einer
Dissertation enthoben. Die Stadt hat mich zum Professor ernannt, ohne dass ich
mich habilitieren musste. Die Würde der Verleihung einer Ehrenbürgerschaft – die
erste wurde 1813 dem Oberkonsistorialrat Conrad Gottlieb Ribbeck überreicht –
was für ein schöner Fontanischer Name. Zuletzt erhielt sie der von mir hoch
geschätzte Johannes Rau. Als Sohn dieser Stadt greift die Verleihung der
Ehrenbürgerwürde tief in meine Biografie.
Ein verlorener Sohn war ich
niemals, auch wenn ich über viele Jahrzehnte nicht in den Mauern von Berlin
gelebt habe. Aber im Unterschied zu J. F. Kennedy bin ich wirklich ein Berliner,
geboren und aufgewachsen in Wilmersdorf. In der Ehrung, die mir heute zuteil
wird, erlebe ich Berlin in einer mich bewegenden Weise – als Heimatstadt, die
mich väterlich und großzügig behandelt. Bei aller Bescheidenheit möchte ich an
das Schicksal des großen Dichters der Loreley erinnern. Heinrich Heine war hier
in Berlin eine der leuchtenden Zierden des Salons von Rahel Varnhagen. Aus
Berlin nach Paris emigriert, hat er sich sein Leben lang in seine rheinische
Heimat zurückgesehnt. Sehr Ähnliches habe ich erlebt. Als ich mich vor acht
Jahren, mit meinen geliebten Bildern im Gepäck, zur Rückkehr in Deutschlands
Hauptstadt entschlossen hatte, war mir stets bewusst, dass nur wenige Meter von
der Villa Max Liebermann am Wannsee die teuflische, die verbrecherische
Strategie des Holocaust entworfen wurde. Ich habe aber auch gewusst, dass es in
den Jahren der Hitler-Diktatur viele Berliner gegeben hat, die unter stetiger
Lebensgefahr Mitbürger jüdischen Glaubens versteckt und sie damit gerettet
haben. Diese Tatsache und der Umstand, dass ich bei meiner Rückkehr aufrichtigen
Demokraten humanistischer Gesinnung begegnet bin, haben mich keinen Augenblick
an der Richtigkeit meiner Entscheidung zweifeln lassen.
Wenn ich mich mit dieser großen Stadt, die Berlin heißt, innerlich
identifiziere, so erklärt sich das aus der vielfältigen Unterstützung durch
Menschen der Politik und der Kunst, die ich erfahren durfte. Denen gehört mein
Dank dafür, dass das Museum Berggruen eine Erfolgsgeschichte geworden ist. Mein
Beitrag zu diesem Erfolg war gewiss auch meine Sammlung und mein Einsatz für
diese Sammlung.
Sie werden mir, meine Damen und Herren, verzeihen, wenn
ich mich einen Augenblick einem Thema zuwende, das mir sehr am Herzen liegt. Es
geht um die Sammlung zeitgenössischer Kunst von Friedrich Christian Flick. Herr
Flick hat sich seit Jahren leidenschaftlich, großzügig und weltoffen zu der
Kunst bekannt, welche die Strömungen und Stimmungen unserer Epoche auszuleuchten
sich bemüht. Diese Sammlung soll hier neben dem Hamburger Bahnhof ausgestellt
werden und, so wie ich es sehe, wird Flicks Sammlung, jeglichen Kontroversen zum
Trotz, eine große Bereicherung für uns alle sein. Lasst uns nicht, störrisch und
mit Scheuklappen zurückblickend, von Sippenhaft vergangener Untaten und von
Weißwaschen von Blutgeld sprechen, sondern tolerant und aufgeschlossen in die
Zukunft schauen.
Prinz Asfa-Wossen Asserate sagte vor kurzer Zeit,
anlässlich der Verleihung des Adelbert-von-Chamisso-Preises an ihn: „In den
Manieren habe ich zum Thema Reden nichts gesagt, vielleicht weil ich der
Überzeugung bin, dass Reden vor allem kurz zu sein haben.“ Ich halte es mit dem
Prinzen und bitte um Ihr Verständnis, wenn ich mich in meinem Dank eher kurz
fasse. Seit mein Museum, das Picasso und seiner Zeit gewidmet ist, einen Teil
der Berliner Kulturlandschaft ausmacht, seit acht Jahren also, ist es von mehr
als einer Million Menschen aufgesucht worden. Ich bin von Glücksgefühl bewegt
bei dem Gedanken, dass mein Beitrag zur kulturellen Stärkung meiner Heimatstadt
uneingeschränkt – um nicht zu sagen – enthusiastisch akzeptiert wird.
Ihnen allen, meine Damen und Herren, möchte ich meinen herzlichen Dank sagen für
die heutige Ehrung. Ich möchte Ihnen dafür danken, dass Sie mit mir den ersten
jüdischen Heimkehrer in seine Vaterstadt zum Ehrenbürger machen.
al /
hagalil.com / 2004-06-13
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