10 Jahre Jewish Filmfestival Berlin 2004:
"Voyages" - Reisen in die Erinnerung
Voyages, Frankreich 1999, 115 Minuten / Spielfilm, Regie:
Emanuel Finkiel
...
Filmkritik von Gudrun Wilhelmy
Auf der Busfahrt in einer Gruppe Überlebender aus Paris nach
Auschwitz, hat der Reisebus eine Panne. Während der Wartezeit nähert sich ein
anderer Bus, man hält an und bietet Hilfe an und fährt dann weiter. In diesem
kurzen Moment des "Vorbei" sitzt Riwka hinter dem wegen der Kälte beschlagenen
Fensters und schaut teilnahmslos hinaus.
Schemenhaft ist ein Gesicht zu erkennen, das von den
Wasserspuren undeutlich gemacht wird, als sie ihr Fenster abwischt. Das Gesicht
fährt ein Stück an ihr vorbei, kommt wieder zurück und ein Mann blickt sie an,
als suche er in ihr eine vergrabene Erinnerung. Riwka selbst schaut in das ihr
fremde Gesicht und in ihrem spiegelt sich kein Erkennen, auch kein Suchen. Diese
Szene verdeutlicht die Filmsprache Finkiels am deutlichsten: unspektakulär,
bildlich, frei von Untermalung.
Finkiel hat sich drei großen Fragen
gestellt: Erinnerung, Trauer, Einsamkeit. Drei Frauen sind seine
Hauptdarstellerinnen: Riwka aus Israel, die sich von ihrer Trauer nicht lösen
kann als Überlebende, Régine, eine alleinstehende Überlebende aus Paris die
ihrer Einsamkeit nicht entfliehen kann und die Witwe Vera, russische Einwanderin
nach Israel, die ihre einzige Verwandte aufsucht, die sie nicht erkennt. Es tut
sich ein Abgrund an Trauer auf und nicht mitteilbare Lebensschmerzen.
Riwka lebt mir ihren verstorbenen Verwandten und kann sich
nicht einen Tag von ihnen lösen. Régine sieht sich einem alten Mann gegenüber,
der behauptet ihr Vater zu sein und der nach noch lebenden Verwandten sucht.
Vera ist mit ihren jungen Nachbarn nach Israel ausgewandert und sucht den
Kontakt zu der einzigen noch lebenden Verwandten, die sie in einem Heim für alte
Menschen wieder findet.
Und dazwischen sind Blicke. Blicke die sehen und
die hören, die antworten und fragen, die weinen und die schweigen. Was den Film
von Emanuel Finkiel so anrührend macht, sind die so alltäglichen Situationen,
wie sie jeder kennt und die Identifikationen schaffen können. Indem er
Laienschauspieler einsetzt, macht er den Film zu einem gegenwärtigen Erlebnis,
dem sich niemand entziehen kann. Mehr Wirklichkeit ist in einem Film kaum
möglich und doch ist es kein Dokumentarfilm. Diesem Film ist jede Poesie
entzogen und gerade dadurch entfaltet er seine tiefer gehende Wirkung.
Jüdisches Filmfestival Berlin 2004
Jüdische Kultur in Berlin
al /
hagalil.com / 2004-06-16
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