Hilde Schramm:
Im Schatten des Vaters, ein Leben lang
Hilde Schramm erhielt gestern den Moses-Mendelssohn-Preis.
Seit Jahren schon hilft sie Nazi-Opfern. Doch wahrgenommen wird sie häufig nur
als Tochter des Hitler-Architekten Speer. Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde
lehnte Preisverleihung ab....
VON PHILIPP GESSLER
Hilde Schramm ist 68 Jahre alt, sie hat vieles und davon viel Gutes in ihrem
Leben getan. Aber wenn es hart auf hart kommt, wird sie nur als Tochter
wahrgenommen - als Tochter Albert Speers, der Hitlers Architekt für "Germania",
sein späterer Rüstungsminister und Kriegsverbrecher war. Sie ist Kind des
Mannes, der das Zwangsarbeitersystem im NS-Reich perfektionierte und
mitverantwortlich für die Verwertung des Eigentums ermordeter Juden war.
Nun hat die Erziehungswissenschaftlerin und Soziologin Hilde Schramm den
Moses-Mendelssohn-Preis des Landes Berlin erhalten. Alle zwei Jahre vergibt die
Hauptstadt die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung zur "Förderung der Toleranz
gegenüber Andersdenkenden und zwischen den Völkern, Rassen und Religionen".
Ehrenwerte Persönlichkeiten wie Yehudi Menuhin, Teddy Kollek und Wolfgang
Thierse haben ihn schon erhalten. Doch ausgerechnet die außerhalb Berlins kaum
bekannte Preisträgerin dieses Jahres hat die Auszeichnung erst so richtig ins
öffentliche Interesse gerückt. Denn es gab Streit um Hilde Schramm, genauer: um
ihren Vater.
Als Ende Juni publik wurde, dass Hilde Schramm den diesjährigen Preis erhalten
sollte, protestierte der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde. Albert Meyer hatte
Bedenken, denn Ort, Zeitpunkt und die Begründung eines Jury-Mitglieds für Hilde
Schramm als Preisträgerin stießen ihm auf. Ursprünglich sollte Hilde Schramm den
Preis in einer Synagoge anlässlich der Eröffnung der Jüdischen Kulturtage
erhalten. Dies und die Tatsache, dass ein Jurymitglied als einen Grund für den
Preis gerade Hilde Schramms schweres Schicksal als Speer-Tochter anbrachte, ließ
Meyer protestieren.
Hilde Schramm zeigte für diese Position Verständnis: "Ich kann sehr gut
verstehen, wenn da NS-Opfer oder ihre Nachkommen mit Abwehr reagieren", erklärte
sie öffentlich. Dabei ist der Protest Meyers gegen Hilde Schramm zumindest eine
Gratwanderung, hat sie sich doch gerade auf dem Feld der so genannten
Wiedergutmachung für die Opfer des Nationalsozialismus am intensivsten betätigt:
Hilde Schramm ist Mitbegründerin der "Stiftung Zurückgeben", die "jüdische
Frauen in Kunst und Wissenschaft" fördert. Die Stiftung vergab bisher 30
Arbeitsstipendien und Projektzuschüsse. Sie finanziert sich aus dem Verkauf von
Gütern, die früher einmal Juden gehörten und von nichtjüdischen Deutschen in der
NS-Zeit oft billigst erworben wurden.
Außerdem ist Hilde Schramm seit Anfang des Jahres Vorsitzende des Vereins
"Kontakte/Kontakty", der bisher hunderten ehemaligen NS-Zwangsarbeitern und
Kriegsgefangenen half. Schließlich engagiert sie sich für eine
Begleitausstellung zur Familiengeschichte der Familie Flick neben der geplanten
Kunstschau des Sammlers Friedrich Christian ("Mick") Flick. Die umstrittene
Schau soll am 18. September eröffnet werden und sorgt seit Monaten für große
Debatten in den Feuilletons der Republik.
Anders als Mick Flick stellte sich Hilde Schramm früh der Verantwortung, die
sich aus der Schuld des Vaters ergab. Es liegt wohl auch daran, dass die
Verleihung des Preises an Hilde Schramm außerhalb der Jüdischen Gemeinde kaum
auf Widerstand stieß. Auf ihren Wunsch wurde die Preisvergabe in den
Französischen Dom auf dem Gendarmenmarkt in der Mitte Berlins verschoben. Die
Jüdische Gemeinde will nun die Wogen glätten: Sie lud Mick Flick und Hilde
Schramm zu einer großen Feierstunde zum 100-jährigen Jubiläum der Synagoge in
der Rykestraße ein.
taz Nr. 7455 vom 7.9.2004, Seite 8, 121 Zeilen (TAZ-Bericht), PHILIPP GESSLER,
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hagalil.com / 2004-09-08
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