Berlinale
2004:
Out of the Forest – Mikivun haya'ar
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Von Iris Noah
"Wir sind eines Tages durch Tel Aviv gegangen und haben
uns gefragt, was würden wir machen, wenn neben unserem Haus Löcher
ausgehoben und Menschen erschossen würden?" Diese Frage bildete den
Ausgangspunkt der Regisseure Limor Pinashof und Yaron Kaftori Ben Yosef für
ihre Dokumentation über Ponar. Der kleine Ort mit ein paar Hundert
Einwohnern liegt 15 Kilometer von Wilna (Vilnius) entfernt. Vom dortigen
Ghetto, in dem Deportationszüge aus ganz Europa ankamen, würden etwa 100 000
Menschen – davon 70 000 Juden – nach Ponar gebracht und dort vor aller Augen
erschossen.
Der polnische Autor Kazimierz Sakowicz hat zwischen Juli
1941 und Juni 1942 seine Beobachtungen aufgezeichnet. Vom über Stunden
andauernden Geräusch der Erschießungen berichtet er genauso nüchtern und
emotionslos wie über das Wetter des jeweiligen Tages. In vergrabenen
Limonadenflaschen blieben seine Aufzeichnungen erhalten.
Zwei
Überlebende sind aus Israel angereist. Der alte Mann – damals ein
Jugendlicher – stolperte kurz bevor der Schuss, der ihn töten sollte,
abgefeuert wurde. Unter Toten liegend überlebte er und konnte sich zu
Partisanen durchschlagen. Die alte Frau – damals ein 8jähriges Mädchen –
fiel am Rand der Grube hinunter und überlebte so.
Alle anderen, die erzählen, sind Litauer, die damals
Jugendliche waren. Beim Hüten der Kühe beobachtete ein Mädchen von einer
Anhöhe aus, wie Menschen vom Lastwagen stiegen, sich auszogen und in Reihen
aufstellten. In den Häusern musste man die Fenster geschlossen halten wegen
des unerträglichen Geruchs der verbrannten Leichen. Man kochte für das etwa
20köpfige Bewachungskommando, und am Wochenende traf man sich zum Tanzen.
Mit den Kleidern der toten und den Zahnkronen wurde in den umliegenden Orten
ein schwunghafter Handel getrieben. Wer die Kleider denn trug?
Schulterzucken und ausweichende Antworten.
Eine
Frau insistiert, dass die Täter doch nicht von hier sondern Tschechen waren.
Ein Mann widerspricht: Nein, sie sprachen doch litauisch. Auf die Frage,
warum sie nicht geholfen hätte, meint eine andere: "Das waren so viele
Juden. Warum haben die sich nicht gewehrt." Und wieder eine andere meint auf
die Frage, wie sie mit dieser Vergangenheit heute in Ponar lebt: "Jeder muss
sterben".
Ein alter Mann, der über ein ausgezeichnetes Gedächtnis
verfügt und viele Details zu erzählen weiß, stockt als es um seinen Vater
geht. Aus den Aufzeichnungen von Sacowitz geht hervor, dass dieser Vater mit
den Schuhen Ermordeter gehandelt hat: "Man hat viel über meinen Vater
geredet, was nicht stimmt."
Die Zeitzeugenaussagen der Überlebenden und der Litauer
wechseln sich ab mit Passagen der Aufzeichnungen. Die Kamera schweift immer
wieder über die schöne Landschaft, die vor 60 Jahren nicht viel anders
ausgesehen haben dürfte. Der Film dokumentiert die anhaltende Verweigerung
von Einfühlung und Mitleid.
Am Ende des Films kommt eine Litauerin ins Bild, die
erzählt, wie ihre Mutter und sie zwei Jüdinnen, die fliehen konnten, halfen.
Sie gaben ihnen frische Kleidung und wiesen ihnen den Weg zu den Partisanen.
Diese Frau weint – die einzige außer den Überlebenden.
Auch der litauische Botschafter war zur Vorführung des
Films eingeladen worden. Er sagte ab.
12. Februar CineStar 17.00 Uhr
13. Februar Babylon 17.30 Uhr
Russisch/polnisch/litauisch/hebräisch/englisch
mit englischen Untertiteln
Regie: Limor Pinashof und Yaron Kaftori Ben Yosef
Israel / 93 Minuten
Filme zu jüdischen Themen, Israel / Nahost und
Minderheiten auf der Berlinale 2004
und Filmkritiken finden Sie während der Berlinale auf der Startseite von
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12-02-04
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