Maltas
Gemeinde
Von Stefan Schrader
Ich hatte nichts außer den
Informationen, dass 99 % der maltesischen Bevölkerung katholisch sind,
dass es eine jüdische Minderheit gibt, maltesisch dem Arabischen ähnelt
doch Englisch ebenfalls Amtssprache ist - und ich hatte eine
Telefonnummer.
Es war mein Urlaub und ich wollte auch
die jüdische Gemeinde Maltas besuchen. Weil bei den ersten Versuchen
keine Telefonverbindung zustande kam, ließ ich mir im Hotel das
Telefonbuch geben in der Hoffnung, die jüdische Gemeinde ausfindig zu
machen, auch unter »L« wie Levy und »C« wie Cohen, doch ich fand nichts.
Ich schilderte mein Problem dem
Hotelportier, der wußte, dass der Vorsitzende Ohayon heißt und
Kofferfabrikant ist. Fünf Minuten später rief er mich auf meinem Zimmer
an. Er hatte eine andere Telefonnummer gefunden. Am nächsten Morgen
klappte es. Am anderen Ende meldete sich eine Frau. Nachdem ich sagte,
wer ich sei und was ich wolle, sagte sie, Herr Stanlay Davis, der
Sekretär der Gemeinde, liege zur Zeit im Krankenhaus und gab mir seine
Telefonnummer.
Ich rief ihn an und erfuhr, dass der
Gottesdienst am Schabbat-Morgen um 10 Uhr beginne und bis etwa 12.30 Uhr
dauere und die Synagoge in einem Wohnhaus sei. Er wolle sich darum
kümmern, sagte er, dass ich vor dem Haus in Empfang genommen werde. Wo
das Haus steht, das bekam ich wegen des Lärms am Busbahnhof in Valetta
nur sehr bruchstückhaft mit. Ich hoffte, dass mir meine
Großstadterfahrung helfen würde, mit den erhaltenen Daten
weiterzukommen.
Das Viertel mit der Synagoge fand ich
sofort, doch dann wurde es schwierig. Also rief ich noch einmal Mr.
Davis an. Etwa 10 Minuten und eine Frage später stand ich vor dem Haus.
Ich konnte jetzt beruhigt in mein Hotel zurückfahren. Am Schabbes-Morgen
kam ich wieder nach Valetta zurück. Ich ging in das Haus, es gab eine
mit stählernem Gitter gesicherte Tür, von der ich annahm, dass dies die
richtige sei, doch dann entdeckte ich eine andere Tür mit Mesusa.
Auf mein Klopfen öffnete niemand. Ich war
zu früh. Also wartete ich bei sonnigem Wetter auf der Straße. Kurz
darauf näherte sich ein kleiner, etwa 40-jähriger, jungenhaft
aussehender Mann in Anorak und Baseballcap mit großen Schritten. Ich
ahnte schon, dass er zur Synagoge gehören müsse. Als er in das Haus
ging, folgte ich ihm kurze Zeit später, klopfte, er ließ mich ein. Ich
fragte, ob er der Schammes sei, woraufhin er mir sagte, er sei der Sohn
des Gemein- devorsitzenden, Reuben Ohayon, und alles in einer Person:
Vorbeter, Schammes und Putzkraft.
Während er die Vorbereitungen traf,
schaute ich mich um. Die Synagoge, eine Wohnung, die ursprünglich 5
Zimmer hatte, entstand durch die Zusammenlegung von drei aufeinander
folgenden Räumen und durch Herausnahme der Zwischenwände. An der
Stirnwand des so entstandenen großen Raumes war der Thoraschrein, etwa
in der Mitte die Bimah, entlang der Wände einfache Stühle. Am hinteren
Ende die durch ein Stück Flur abgeteilten Plätze für die Frauen. Ein
extra Raum diente als Garderobe, Lager- und Aufbewahrungsraum für
weitere Stühle, Gebetbücher, Tallitim und Kippot. Im fünften Raum, von
dem ein Balkon abging, wurde nach dem Gottesdienst der Kiddusch gemacht.
Nach und nach kamen die Beter, zunächst
ein junger Mann, etwa 30, von dem ich annahm, er sei der Rabbiner, doch
es stellte sich heraus, dass er der Schochet war, der bei Bedarf aus
Israel nach Malta kommt. Dann kamen weitere Männer und Frauen und ich
wurde jedesmal als »der Gast« vorgestellt und von jedem gefragt, woher
ich sei, wie viele Juden es in Berlin gibt, wie das Leben ist, ob
Antisemitismus usw. Der Vorsitzende der Gemeinde, Abram Ch. Ohayon,
begrüßte mich nochmals herzlich und erzählte, dass es heute etwa 100
Juden auf Malta gibt und der Gottesdienst nur an jedem 1. und 3.
Schabbatmorgen stattfinden kann, weil der Weg für einige zu weit ist und
die Jüngeren am Freitagabend lieber andere Angebote nutzen. Aus diesem
Grund gibt es auch keinen gemeinsamen Seder, doch Mazzot und koscherer
Wein für Pessach werden eingeführt.
Er drückte mir ein Informationsblatt in
die Hand, welchem ich weiterhin entnehmen konnte, dass Juden bereits
seit der spanischen Inquisition auf Malta leben, dass es bis zum
Einmarsch Napoleons 1798 fast regelmäßig jüdische Sklaven und Gefangene
gab, dass ein Dr. Cecil Roth in den 20-er Jahren des 20.Jahrhunderts das
Buch »The Jews of Malta« schrieb und damit zu einer jüdischen Autorität
für die Juden in Malta geworden ist, dass es etwa 25 jüdische Familien
gibt und sich die Gemeinde aus sephardischen, ashkenasischen,
orthodoxen, Reformern und Liberalen zusammensetzt.
Dann begann der Gottesdienst. Im Laufe
der nächsten halben Stunde kamen weitere Beter, auch mehrere Kinder, so
dass bis zur Tora- vorlesung ein guter Minjan zusammen war. Es folgte
die Toraaushebung, wobei ich mit Erstaunen sah, wie viele Torarollen im
Schrein standen. Mehrere Mitglieder nahmen jeweils eine, die beiden
Kinder die kleinsten, etwa so groß wie Teigrollen, und trugen sie
während des Liedes (es war die gleiche Melodie wie in der Rykestraße) um
die Bimah. Aus der größten Rolle wurde gelesen. Auch ich wurde
aufgerufen.
Nach dem Gottesdienst gab es einen
Kiddusch. Um einen Tisch stehend erhielt jeder ein Gläschen Wein und
etwas Brot, auch Torte stand da. Alle unterhielten sich, es wurde
betont, dass es am diesem Tag sogar einen Levy und einen Cohen gab,
einige kamen zu mir und erkundigten sich nach den Juden in Berlin. Nach
dem Kiddusch verabschiedeten sich alle voneinander, und wünschten einen
guten Schabbat und Heimweg. Ich wurde von Reuben in seine fünf Minuten
entfernte Wohnung zum Essen eingeladen. Auch der Schochet war dabei. In
der Wohnung hatten bereits Frau und Tochter, die zuvor auch in der
Synagoge waren, den Tisch gedeckt. Es gab, was es immer am Schabbestag
bei frommen Familien gibt, dauerhaft Zusammengekochtes, Tscholent
genannt. Der Tisch im Zimmer war für acht Personen gedeckt, für Reuben,
den Familienvater, die Mutter, die Tochter, den Sohn, zwei Nichten, den
israelischen Schochet und für mich.
Der etwa 16-jährige Sohn interessiere
sich - wie mir seine Mutter sagte- weniger fürs Judentum als für
Rockmusik, die höchstens 10-jährige Tochter jedoch schien sehr
engagiert. Sie sagte auch am Schluss das Tischgebet. Die beiden etwa
15-jährigen Nichten waren eher am Sohn interessiert, so dass sich die
Unterhaltung im Grunde zwischen Reuben, dem Schochet und mir abspielte.
Ein Foto des Rebben Mendel Menachem Schneerson veranlasste mich zu
erzählen, dass ich ihn in Brooklyn sah, dass er in Berlin Maschinenbau
studiert und wichtige Dinge für U-Boote entwickelt hatte, dass sein
Schwiegervater während der Nazizeit nach Lubawitscher Protest und auf
Canaris’ Befehl aus Warschau über Berlin und das Baltikum mit einem
schwedischen Schiff in die USA gebracht wurde und Chabad Lubawitsch mit
Hilfe auch der Berliner Gemeinde und der Stadt unlängst eine Gedenktafel
am ehemaligen Wohnhaus des späteren Rebben angebracht hat. Meine
Ausführungen stießen auf großes Interesse vor allem bei Reuben, der
mehrmals betonte, dass er auch gerne nach Brooklyn gefahren wäre, es
aber niemals geschafft hat. Nach dem Tischgebet verabschiedete ich mich,
fuhr zurück in mein Hotel und dachte noch lange über diesen freundlichen
Schabbat auf der kleinen Insel nach.
aus: Jüdische Korrespondenz, Nr. 4/2002
herausgegeben vom Jüdischen Kulturverein
Jüdischer Kulturverein Berlin (englisch)
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