Das Theater spielt auf der Straße
Kritische Spurenelemente: Die 15. Jüdischen Kulturtage widmen sich
Tel Aviv, der Stadt, die keine Pausen kennt
"Multikulti ist gut." Wenn Dvora Ben-David das sagt,
israelische Botschaftsrätin für Kultur in Berlin, ist damit gewiss nicht
Klezmer gemeint. "Klezmer ist ein deutsches Klischee von jüdischer
Kultur", regt sie sich ein wenig auf anlässlich der Vorstellung der 15.
Jüdischen Kulturtage vom 12. bis 24. November, die unter dem Motto "Tel
Aviv Non Stop" stehen.
Multikulti aus Tel Aviv, das ist für Dvora Ben David zum
Beispiel ein Orgelkonzert, das Kompositionen von Johann Sebastian Bach
und Roman Krasnovski zusammenbringt (13. November, Berliner Dom).
Orgelmusik hat in einem Land, das mehr Synagogen als Kirchen kennt,
keine große Tradition. Krasnovski brachte sie aus der Ukraine nach
Israel. 1994, nach der Ermordung von Jitzhak Rabin auf dem größten Platz
in Tel Aviv, komponierte er die "1. Jüdische Orgelsinfonie" im Gedenken
an den Ministerpräsidenten.
Eine Spannung, wie sie nur im Nebeneinander der
unterschiedlichen Pulsschläge einer Metropole entstehen kann, hört Dvora
Ben David auch in der Musik der fünfköpfigen Gruppe SheshBesh, in der
ausgebildete Philharmoniker mit Jazzern zusammenspielen und arabische
und westliche Klanglandschaften queren. Ben-David hat ihre Lieblingsband
überredet, auf ihrer Tournee einen Abstecher in den Ballroom der
Jüdischen Gemeinde zu machen (22. November).
Die Kulturrätin schwärmt von Tel-Aviv, der "Stadt ohne
Pause", wie ihr Vater einst von seiner Jugend in Berlin. Die
Erinnerungen an Europa sind eingeschrieben in die Architektur der Stadt,
die in den leider etwas touristischen Bildern von Zvika Zilikovitch im
Centrum Judaicum vorgestellt wird (ab 15. November). Mit den
Einwanderern kam auch der Bauhaus-Stil, der von der Hoffnung auf eine
Erneuerung der gesellschaftlichen Ordnung zeugte. Heute überragen
Hochhäuser den Strand der schnell gewachsenen Stadt.
"Das Theater der Straße spielt 24 Stunden am Tag", sagt
der Fotograf Alex Levac, der sich der Beobachtung dieser Bühne
verschrieben hat und mit im Centrum Judaicum ausstellt. Auf der Straße
fand er das Kamel, das vor den gemalten Wandbildern "Elvis in Jerusalem"
niederkniet, das Liebespaar, das sich mitten auf einer fünfspurigen
Ausfallstraße umarmt, und die junge Schwarze, die sich Fähnchen mit dem
Davidstern in ihre Haare dreht.
130 Sprachen haben die Einwanderer nach Tel Aviv
gebracht. Oft verbindet sie wenig mehr als der Mythos von den 12 Stämmen
Israels, die in die Welt verstreut sind und nun zurückkehren. In den
Neunzigerjahren kamen die größten Gruppen, je über 600.000 Menschen, aus
Russland und Äthiopien. Sie sind sich fremd in der Sprache, der Kultur
und selbst im Glauben. Längst nicht alle diese Gruppen haben Teil am
Kulturprodukt der Stadt. Dennoch gibt es Akzentverschiebungen, weg von
den europäischen Erbschaften zu einer Öffnung gegenüber dem Orient. In
der Musik ist dies am ehesten zu spüren.
Über dreißig Veranstaltungen umfasst das Programm der
Kulturtage, mit Theaterstücken, Modenschauen, DJs, Lesungen von Judith
Katzir, Fania Oz-Salzberger und Joshua Sobol im Literaturhaus
Fasanenstraße. Neue Filme aus Israel laufen im Arsenal und im Babylon.
Die junge Regisseurin Ayelet Bargur hat für ihren Dokumentarfilm "At the
end of the day" vier Familien beobachtet, deren Söhne in ihrer
Militärdienstzeit umkamen. In dem Thriller "Time of Favor" von Joseph
Cedar gehören die Kämpfe um das Recht, auf dem Tempelberg in Jerusalem
zu beten, zum Hintergrund einer Liebesgeschichte. Auch "Made in Israel"
von Ari Folman nimmt seinen Stoff aus der Politik: Die Geschichte
beginnt mit der Auslieferung von Egon Schultz, dem letzten in Damaskus
untergetauchten Naziverbrecher.
Mehr als in anderen Jahren suchen die Jüdischen
Kulturtage, veranstaltet von der Jüdischen Gemeinde, für Israel zu
werben. Der Krieg im eigenen Land hat die Bedeutung der Kultur
verschoben, sie wird als Widerstand gegen den täglichen Terror gebraucht
und als Ort der kritischen Auseinandersetzung gesucht. Davon bringt das
Programm allerdings nur vorsichtige Spurenelemente nach Berlin. Ein
einziger Abend ist "Tel Aviv politisch" überschrieben, der zu einer
Diskussion über "Bilder des anderen: Deutschland und Israel in den
Medien", einlädt. Stolz sind die Veranstalter auf das Projekt "Givat
Haviva", das israelische und arabische Kinder im Alltag zusammenbringt
und in Bildern der Kinder und Gedichten davon erzählt. Sie zeigen ab 23.
November eine Ausstellung in der Heinz-Galinski-Grundschule.
KATRIN BETTINA MÜLLER
Kartenhotline: 308 78 56 85
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