"Bilder der Bibel":
Eine Lesser Ury Ausstellung
in Berlin
Von Gudrun Wilhelmy
Berühmt wurde
Lesser Ury durch seine Stadtansichten Berlins. Er spielte in den
Großstadtbildern mit Licht und Schatten in unverkennbarer Virtuosität.
Ury gehörte zur Berliner Sezession, die sich gegen das konventionelle
Kunstverständnis Wilhelms II. stellte und 1898 gegründet wurde. Die
Sezession galt als Avantgarde, die sich am französischen Impressionismus
orientierte: Sie erregte Aufsehen mit Bildern aus der Alltagswelt, wegen
ihrer Hinwendung zu rein visuellen Phänomenen und der Abkehr von
geometrischen Idealfigurationen.
Lesser Ury im seinem Atelier am Nollendorfplatz 1 vor dem Triptychon
Der Mensch (1898), um 1927
Abbildung aus Katalog: Lesser Ury, Centrum Judaicum 2002
Vor diesem
Hintergrund ist die Ausstellung "Bilder der Bibel" im Centrum Judaicum
Berlin zu sehen, die ausschließlich seinen Bildern mit religiösen Themen
gewidmet ist. Dieser Teil seines Werkes ist weitgehend unbekannt. Dies
ist ein Grund, warum die Ausstellung sehenswert ist. Die Kunstkritiker
seiner Epoche hatten diesen Werkteil negativ beurteilt. Ury orientierte
sich in seiner Malerei eindeutig an christlichen Darstellungen. Eine
Steifheit der Personen, die auch in seinen Stadtbildern zu finden ist,
tritt hier deutlicher hervor. Seine biblischen Gestalten sind menschlich
gezeichnet.
Moses war für
ihn eine der zentralen Gestalten. In seinem Bild "Moses zerschmettert
die Gesetzestafeln" verharrt Moses in einer Haltung, in der er die
Tafeln hochhält. Hier wird der symbolische Gehalt des Gemäldes deutlich.
Hochhalten der Gesetze und Innehalten in der Bewegung geben dem Bild
seinen Spannungsbogen. Ury malte den Moses nicht als biblische Gestalt,
sondern als Menschen. Sein "Moses, der das gelobte Land vor seinem Tod
erblickt" ist ein alter Mann. Rücken und Nacken sind gekrümmt, die Arme
hängen kraftlos herunter. In "Jakob segnet Benjamin" zeigt er einen von
Kummer gezeichneten Mann.
Lesser Ury, Moses zerschmettert die Gesetzestafeln (um 1905)
Privatbesitz Jerusalem, Israel
Abbildung aus Katalog: Lesser Ury, Centrum Judaicum 2002
Ganz anders
sind seine Frauengestalten. Gleich ob Ruth, Rebekka oder Esther, sie
sind stark idealisiert. Für den heutigen Betrachter wirken sie zumindest
übertrieben. Maler unserer Epoche sehen Personen aus der Tora,
insbesondere auch die Frauen, völlig anders.
Zwei Gemälde von besonderer Eindringlichkeit stehen den Stadtbildern an
Qualität nicht nach. Zum einen "Jeremias": Ein einsamer Mann, der
zusammengekrümmt unter einem lichtblauen Himmelsgewölbe liegt. Gleiches
gilt für "Eva und Adam nach der Geburt Kains", ein ungewöhnliches Motiv.
Lesser Ury, Jeremias (1897)
Original verschollen, Reproduktion aus: Adolph Donath, Lesser Ury,
Berlin 1921
Abbildung aus Katalog: Lesser Ury, Centrum Judaicum 2002
Urys berühmte
Lichtfarben leuchten hier in unverminderter Schönheit. Eva ist eine
junge Mutter, die sich ganz ihrem Kind zuwendet. Adam sitzt ein wenig
abseits und betrachtet beide. Die Gemälde sind von starker Intensität
und ihr biblischer Bezug ist nur durch die Titel erkennbar. Hier hat
sich Ury vollkommen von einer heroisierenden Darstellungsweise gelöst.
Wie durch alle Werke Urys zeigt sich auch hier der auffällige
Hell-Dunkel-Kontrast in den realistisch gezeichneten Figuren und einem
auf Farbe und Sinneseindruck reduzierten Himmel.
"Jerusalem"
ist erste das Bild mit biblischen Motiven, mit denen Ury an die
Öffentlichkeit ging. Es gilt als Schlüsselwerk seiner religiösen Werke.
Anders als den Kritiker Kerr hat mich links im Bild der hockende Mann
fasziniert, ein unvergessliches Gesicht, dessen Portrait noch einmal als
Lithographie in der. Ausstellung zu sehen ist. "Jerusalem" könnte man
sehen, wenn die Berliner Staatsanwaltschaft es denn wollte.
Das Gemälde
wurde während der Ausstellungsvorbereitungen im Februar 2002 dem
Jüdischen Museum Berlin zum Kauf angeboten. Es galt seit 1945 als
verschollen. Seit 1903 im Besitz des Kaiser-Friedrich-Museums in Görlitz
ging später auf die Städtischen Sammlungen der Stadt Görlitz über. Es
liegen bisher keine schriftlichen Hinweise für eine Veräußerung des
Bildes vor. Eine Entfernung des Bildes als "entartete Kunst" ist völlig
ausgeschlossen, da es sich um ein Werk des 19. Jhds. handelt" erklärte
Dr. Chana Schütz, Kuratorin der Ausstellung. Die Städtischen Sammlungen,
die sich als legitime Eigentümerin des Bildes sehen, haben ihre
Einwilligung zur Hängung des Bildes oder einer Reproduktion gegeben.
Das Schreiben
mit der Bitte um Genehmigung das Bild in der Ausstellung zeigen zu
dürfen, wurde mit Schreiben vom 16. April wie folgt beantwortet: "Auf
Ihr Schreiben vom 9. April 2002, mit dem Sie eine Genehmigung zur
Ausstellung des im hiesigen Ermittlungsverfahren beschlagnahmten
Gemäldes von Lesser Ury erbitten, wird mitgeteilt, dass Ihrem Anliegen
beim jetzigen Verfahrensstand nicht entsprochen werden kann."
Alle
nachfolgenden Briefe, Faxe und Telefonanrufe seitens des Leiters des
Centrums, Hermann Simon und der Kuratorin der Ausstellung, Dr. Chana
Schütz, mit der Bitte um eine Erklärung und Begründung, blieben seit
Mitte April unbeantwortet. Das Centrum solle gegen die
Staatsanwaltschaft klagen, hieß es sogar in einem Telefonat, dass wenige
Tage vor der Eröffnung noch geführt wurde. Dank gebührt den zahlreichen
privaten Sponsoren, ohne deren Hilfe die Ausstellung nicht möglich
gewesen wäre.
Die Ausstellung
ist im Centrum Judaicum, Berlin, Oranienburgerstraße 28-30,
Berlin-Mitte, vom 9. Juni bis 31. Juli 2002 zu sehen: Öffnungszeiten: Mo + So: 10-20 Uhr,
Di-Do: 10-18 Uhr, Fr. 10-17 Uhr. Parallel zeigt das
Käthe-Kollwitz-Museum Berlin die Ausstellung Lesser Ury – Der
Malerradierer. Ein gemeinsamer Katalog zu beiden Ausstellungen kostet €
19.90.
hagalil.com
12-06-02
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