Adriana Altaras
im Porträt:
Currywurst und Mazzebrot
Adriana Altaras ist die Leiterin
der 16. Jüdischen Kulturtage, die heute eröffnet werden. Gibt es in
Berlin zeitgenössische jüdische Kultur? Brauchen die Deutschen die Juden
noch? Ein Porträt
Von Esther Slevogt
Veranstaltungen, die sich mit dem
jüdischen Leben in Berlin befassen, handeln meistens von seinem Tod.
Adriana Altaras lacht: "Jetzt haben wir es zur Abwechslung mal mit
lauter lebenden Juden zu tun!". Die Schauspielerin und Regisseurin hat
in diesem Jahr die künstlerische Leitung der Jüdischen Kulturtage
übernommen, die heute Abend im Deutschen Theater eröffnet werden.
"Berlin Open" heißt das Motto, auf dem Programmheft wunderbar mit einem
gemischten Doppel aus Berliner Currywurst und jüdischem Mazzebrot auf
den Punkt gebracht.
"Als ich den Auftrag bekam, die
Kulturtage mit Berlin-Schwerpunkt zu organisieren", sagt Adriana
Altaras, "sind mir gar keine Produktionen, sondern nur Leute
eingefallen." Da sie das durchaus symptomatisch für die Verhältnisse
fand, vergab sie Auftragsarbeiten zum Thema. "Meistens an Juden, aber
nicht nur." Maxim Biller und Rafael Seligmann haben Erzählungen
geschrieben, Wladimir Kaminer und DJ Gurzhy werden im
Maxim-Gorki-Theater eine "Special Edition" der "Russendisco"
präsentieren, Filmemacher, darunter Dany Levy und Ulrike Ottinger, haben
speziell für die Kulturtage Kurzfilme zu jüdischen Themen gedreht. Die
16. Jüdischen Kulturtage kann man also getrost als Momentaufnahme zur
Frage betrachten, ob es in Berlin, wo inzwischen die dritte
Nachkriegsgeneration langsam erwachsen wird, so etwas wie eine
zeitgenössische jüdische Kultur gibt. Auffällig daran ist auch die
Tatsache, dass die Frage aus der Jüdischen Gemeinde selber kommt. Dass
dies intern nicht unumstritten ist, zeigt allerdings das Grußwort des
1930 geborenen Vorsitzenden Alexander Brenner, in dem deutliche Skepsis
anklingt, mehr als ein halbes Jahrhundert nach der Zerstörung des
jüdischen Lebens hierzulande Jüdische Kulturtage fast ausschließlich aus
Berliner Beiträgen zu bestreiten.
In Adriana Altaras eigenem Stück "Jud
Sauer", das im Rahmen der Kulturtage im Maxim-Gorki-Theater Premiere
hat, kommt Alexander Brenners Generation noch einmal zu Wort. In einem
jüdischen Altersheim treffen sich lauter alte Leute mit
klassisch-jüdischen Biografien zum Tanztee: ehemalige Partisanen, wie
Ignatz Sauer, dessen verbitterte Haltung gelegentlich an den
verstorbenen Ignatz Bubis erinnert, alte Kommunisten und heimgekehrte
Auswanderer. Adriana Altaras hat das melancholische, gelegentlich
sarkastische Porträt einer Generation gezeichnet, die langsam
verschwindet und sich verbittert fragt: "Hört uns überhaupt noch jemand
zu?".
Adriana Altaras wurde 1960 in Zagreb
geboren und ist in der Schweiz, in Italien und seit 1967 in Deutschland
aufgewachsen. Sie gehörte zu den Mitbegründerinnen des "Theaters zum
Westlichen Stadthirschen", hat in vielen Kino- und Fernsehfilmen
mitgespielt und zuletzt in der Arena die "Vagina-Monologe" inszeniert.
Der betroffene Augenaufschlag, wenn die
Rede auf jüdische Themen kommt, geht ihr oft auf die Nerven. Trotzdem
glaubt sie, dass dieser Betroffenheit samt der damit verbundenen
falschen Töne eigentlich nur beizukommen ist, wenn Berührungsängste
abgebaut werden. Wenn die Leute fragen können, was sie sich sonst nie zu
fragen trauen.
Deswegen wird es am 16. November eine
"Lange Nacht der Synagogen" geben, wo man jüdische Gotteshäuser von
innen sehen kann. Nicht, dass dies sonst nicht möglich wäre. Jetzt wird
nur ganz explizit dazu eingeladen. Es gibt die Möglichkeit, an
Gottesdiensten teilzunehmen, Konzerte zu hören oder einfach Fragen zu
stellen, die von Mitarbeitern der Berliner Synagogen beantwortet werden.
"Am meisten freue ich mich auf die Rabbiner-Konferenz ,Wenn der Rebbe
spricht' ", sagt Adriana Altaras. Lauter Rabbiner unterschiedlicher
religiöser Ausrichtung, von orthodox bis liberal, sogar eine Rabbinerin
ist dabei, werden im Centrum Judaicum wahrscheinlich ziemlich kontrovers
diskutieren. Judentum live und ziemlich lebendig. Zwei
Theateraufführungen symbolisieren die Pole, zwischen denen sich die
Kulturtage abspielen: Auf der einen Seite stehen die Alten in "Jud
Sauer". "Die Grundaussage meines Stückes", sagt Adriana Altaras, "ist,
dass die Deutschen die Juden eigentlich nicht mehr brauchen. Sie haben
ihre Schuld abgearbeitet, denken sie, und sehnen sich nach Normalität.
Nur, die alten Juden brauchen die Deutschen noch. Weil sie jemanden
brauchen, dem sie erzählen können, dass sie nachts oft nicht schlafen
können, dass sie ihre ermordeten Familien vermissen. Und dass sie oft
immer noch Angst haben."
Auf der anderen Seite die Aufführung
einer Spielfassung von Holly-Jane Rahlens Jugendroman "Prinz William,
Maximilian Minsky und ich", die im Sommer von zwölfjährigen Schülern der
Heinz-Galinski-Schule erarbeitet wurde. Im Mittelpunkt steht Nelly, ein
jüdisches Mädchen im Berlin von heute. Sie steht kurz vor ihrer
Bat-Mizwa, der jüdischen Konfirmation. "Wie sollen Juden je als ganz
normal empfunden werden, wenn sie nicht zum Alltag gehören?", sagt sie
immer. "An dem Tag, an dem das deutsche Fernsehen eine deutsch-jüdische
Sitcom ausstrahlt, weiß ich, dass hier alles wieder normal ist."
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10-11-02
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