Denkmale in Berlin
Jüdisches Gemeindehaus Fasanenstrasse:
Die zerbrochene Torahrolle
Wo heute das jüdische Gemeindehaus
steht, befand sich früher die liberale Synagoge Fasanenstrasse. Sie war die
erste Synagoge außerhalb von Alt-Berlin, hatte 1720 Plätze und wurde am 26.
August 1912 eingeweiht. Die jüdische Bevölkerung Charlottenburgs war
zwischen 1895 und 1910 enorm gewachsen. Deshalb hatte die Gemeinde 1905 das
Grundstück in der Fasanenstraße erworben.
Den Architektenwettbewerb gewann Ehrenfried
Hessel. Von 1910 bis 1912 wurde das Gebäude unter Leitung des
Gemeindebaumeisters Johann Höniger errichtet. Unter großer öffentlicher
Anteilnahme wurde die Synagoge am 26. August 1912 eingeweiht.
Leo Baeck,
einer der großen Gelehrten des liberalen Judentums und ab 1912
Gemeinderabbiner in Berlin, amtierte oft in dieser Synagoge.
Sie wurde 1938 in Brand gesetzt und
verwüstet. Isaak Behar, der als Jugendlicher schräg gegenüber wohnte und
später im Versteck in Berlin überlebte, erinnert sich in seinem Buch:
"Isaakito! Steh auf! Du mußt zur Schule!
wisperte meine Mutter. Jeden Morgen um halb sieben kam sie in unser Zimmer,
weckte mich leise, um meine Schwerstern nicht zu stören. Dann huschte sie
zurücl ins elterliche Schlafzimmer.
So auch am Morgen des 10. November 1938.
Draußen war es noch stockdunkel. Ich tapste ins Wohnzimmer, wo meine Mutter
mir immer am Abend zuvor meine Anziehsachen auf einem Stuhl zurechtlegte.
Ich tastete an der Wand nach dem Lichtschalter, als mir plötzlich auffiel,
daß das Zimmer hell erleuchtet war. An den Wänden und der Decke flackerte
ein rötlicher Schein. Was war das? Ich trat ans Fenster. Gegenüber, in der
Fasanenstraße, keine fünfzig Meter von uns entfernt, wütete ein riesiges
Feuer. Die Synagoge brannte!
Mein Blick fiel auf den Eingang des
mächtigen Gotteshauses, aus dessen Kuppeln nun die Flammen schlugen. Ich
traute meinen Augen nicht: SA-Leute rannten immer wieder in die Synagoge
hinein und kamen mit Stapeln von Gebetsbüchern, dem Parochet, dem Vorhang
vor dem Thora-Schrein, einigen Torah-Rollen und Bündeln von Gebetsschals
wieder hinaus. Sie warfen alles auf einem Haufen, um dann gleich wieder
hineinzurennen. Was war das? Die SA rettete unsere jüdischen
Kultgegenstände? Vor der Synagoge standen unzählige Feuerwehrleute herum.

Fasanenstraße 1912 |

Innenraum der Synagoge |

Innenraum der Synagoge nach der Zerstörung
Ich guckte nach oben. Auf den Dächern der
umliegenden Häuser konnte ich vereinzelt Feuerwehrleute mit Wasserschläuchen
in der Hand ausmachen. Als ich genauer hinsah, fiel mir auf, dass die
Feuerwehrmänner mit dem Rücken zur brennenden Synagoge standen. Und die
dünnen Wasserstrahlen richteten sie nicht auf die brennende Synagoge,
sondern auf die Dächer der Häuser ringsum, die gar nicht brannten. Nun
verstand ich gar nichts mehr. Warum löschten die denn nicht das Feuer? Ich
blickte wieder hinunter zum Eingang der Synagoge. Der Haufen mit den
Kultgegenständen war gewachsen. Man konnte also noch eine Menge retten.
Sollte ich hinunterrennen und mithelfen?
In diesem Augenblick sah ich, wie ein
SA-Mann eine brennende Fackel in den Haufen warf. Die Thora-Rollen, der
Parochet, die Gebetsschals gingen in Flammen auf. Ich sah, wie sich die
Gebetbücher unter der Hitze des Feuers öffneten und dann zu Asche
zerfielen."
(aus:
Isaak Behar:
Versprich mir, dass du am Leben bleibst, ein jüdisches Schicksal,
Berlin 2002, Ullstein Verlag, S. 68 / 69)
1939 wurde das Grundstück enteignet zur
Nutzung durch die Reichspost. 1958 wurde die Ruine abgerissen. Die
Architekten Dieter Knoblauch und Hans Heise entwarfen das Gemeindehaus, das
an dieser Stelle gebaut wurde und 1959 eingeweiht wurde.

Foto: M. Eun |
Seit 1987 steht im Hof eine Skulptur von
Richard Hess, die eine zerbrochene Torahrolle darstellt. Am oberen Ende ist
ein Vers aus dem 4. Buch Mose eingraviert:
"Eine Weisung und ein Recht gelte für euch
und den Fremdling, der unter euch weilt" (Kap 15,16)
Einige Schritte weiter steht eine
Gedenkwand mit den Namen der Ghettos, Konzentrations- und Vernichtungslager,
in denen fast 59 000 Berliner Juden ermordet wurden.
Günter Fontheim:
Meine Erinnerungen an die "Kristallnacht"
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29-01-04
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