An-Sichten eines Rabbiners:
EIN ZUG IN DIE VERGANGENHEIT
von Rabbiner Walter Rothschild
Alle paar Wochen im Sommer, und auch zu anderen
Gelegenheiten, macht ein ganz besonderer Dampfnostalgiezug eine Fahrt
durch oder rund um Berlin. Als Eisenbahnfan bin ich mit diesem Zug
gefahren und habe ihn auch angeschaut - ich habe leider nicht immer am
Wochenende frei. Es ist aber - für mich und für Berlin - ein sehr
merkwürdiger und symbolischer Zug.
Die Lokomotive ist eine ‘52-er’ - das heißt, für die, die das wissen, eine
‘Kriegslok’. Es gab vor dem Krieg die 50-er 1-E Güterzuglok, und während
des Rußlandfeldzugs wurde es klar - vielleicht zu spät - daß man eine
einfachere Lok brauchte, etwas das für nur drei oder vier Jahren nötig
war, mit wenig Komplikationen - auch wenig Materialaufwand an Kupfer und
Messing. Zuerst kam der "50-ÜK" - der Fünfziger im "Übergang zur
Kriegslok Ausführung" - und danach die 52, von der man Tausende bauen
ließ, in verschiedenen und auch besetzten Ländern, manchmal durch
Zwangsarbeiter. Na ja, an der Ostfront gab es so viel zu tun, so viele
Truppen aber auch Zivilisten, Deportierte, Munition hin und Verwundete
oder Beute zurück zu transportieren.....
Nach dem Krieg waren die 52-er sehr wichtig denn, relativ modern und
relativ einfach, konnte man in schwierigen Zeiten einfach nicht auf so
eine leistungsfähige Dampflok verzichten. Die Aufgaben hatten sich
verändert - ein bißchen - besonders nach den Ende des "Kolonnendiensts"
und den Abbau durch die sowjetische Besatzungsmacht. Trotzdem war sie
für eine nur kurze Lebensdauer gebaut worden, und die Deutsche
Reichsbahn entschied einige umzubauen mit besseren und stärkeren
Kesseln. Das waren die sogenannten "Reko" Loks - rekonstruiert.
Nach noch einigen Jahrzehnten waren alle ausgemustert, viele verschrottet,
und obwohl einige noch in verschiedenen Eisenbahnmuseen in Deutschland
stehen, sind sie nicht mehr im täglichen Dienst zu finden - sie sind
Symbole einer vergangenen Zeit.
Ist das nicht schön? Ist das nicht symbolisch?
Erstens - für Krieg gebaut und
ausgerüstet;
zweitens, für einen Dienst in Friedenszeiten "rekonstruiert";
und drittens - für Nostalgie-Fahrten verkauft.
Was kann schöner sein, an einem schönen sommerlichen
Sonntag, auf diesem Symbol durch die Landschaft zu fahren ...
Ich bin aber nicht immer sicher, ob ich hier über eine Lok oder ein Volk,
oder eine Stadt, rede.....
Oh - und noch ein Wort zum Wagenpark. Dieser Verein (es gibt andere - in
Schöneweide oder Biesdorf) verfügt über zwei Züge; die sogenannte
"Donnerbüchse", ein zwei-achsiger Einheits-Personenzugwagen aus den
zwanziger Jahren, mit Holzbänken. In Australien ist eine "Thunderbox"
ein Abort - in Deutschland es ist ein Symbol für die neuen armen Weimar
Republik und schwere Zeiten für eine junge vereinte
Deutsche-Reichsbahn-Gesellschaft nach der Länderbahnzeit. Der andere Zug
ist mit "Rekowagen" von der Nach-Kriegs Deutschen Reichsbahn - nicht
schlecht für die fünfziger Jahre, man kann aber die Fenster nicht völlig
öffnen und sich hinauslehnen - etwas Selbstverständliches in der
Vorkriegsbauart der Eilzugwagen und Schellzugwagen; etwas
Selbstverständliches in den Personenwagen der damaligen Deutschen
Bundesbahn im Westen. Wieso nicht ? Die Eisenbahnfans reden ab und zu
darüber: "In der DDR wollten sie nicht, daß die Leute sich hinauslehnen
konnten, und sicher nicht hinausspringen ...". Ist es wahr ? Ich habe
keine Ahnung.
Vielleicht aber gibt es hier, auch, ein kleines Symbol, für die die das
suchen. In der Donnerbüchse sitzt man zwar nicht total bequem, kann aber
auf den Endbalkons ein bißchen frische Luft schnappen; in den
Reisezugwagen der DR sitzt man bequem - aber eingeschlossen.
Aber - keine Sorge. "Es ist Nostalgie". Ein Bimmelfahrt in die schöne
Vergangenheit.
Eine gute Fahrt !
Rabbiner Walter Rothschild lebt in Berlin und ist
Herausgeber einer internationalen Eisenbahnzeitschrift. Die Sendung
„Metro" bei SFB-Multikulti bringt regelmäßig seine Beobachtungen - wie
die in diesem Text vorliegende - zum Berliner Leben.
Einsteigen bitte!
Grunewaldrampe Gleis 17
Grunewald hat zwei
Bahnhöfe. Der eine hat vier Bahnsteige, davon sind zwei in Betrieb. Alle
zehn Minuten fährt ein Zug Richtung Potsdam oder Westkreuz. Moderne
Züge, sanierte Gleise, modernisierte Bahnhöfe...
An-Sichten eines Rabbiners:
Blut auf der
Strasse
Wie empflindlich muss man in Berlin
sein? Wie empfindlich darf man sein, in Berlin? Ist normales Leben
möglich? Wenn ja, kann ich dann bitte einen Teil davon haben? Und wenn
nicht - wie lang muss man warten, bis man nicht mehr so empfindlich
ist?...
[Eisenbahnschienen]
[Stacheldraht]
Interview mit Rabbiner Rothschild (englisch)
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