Kampf um
Gleichberechtigung:
Der Jüdische Frauenbund
1904 - 2004 - Hundert Jahre jüdischer Frauenbund
Von Lara Daemmig
"Jüdischer Frauenbund (JFB) mit Sitz in Berlin, als
Gesamtvertretung der jüdischen Frauen in Deutschland gegründet 1904 auf
Initiative von Berta Pappenheim und Sidonie Werner. Der Ermöglichung
gemeinsamer Arbeit im Interesse der jüdischen Frauenwelt dienen
kulturelle, soziale und feministische Bestrebungen des J., die "Stärkung
des jüd. Gemeinschaftsbewußtseins" zum Ziel haben, ferner setzt sich der
J. ein für die Zusammenarbeit mit der deutschen Frauenbewegung und mit
internationalen Frauenorganisationen, welche für Völkerversöhnung
eintreten, für den Kampf gegen den Antisemitismus, die Mithilfe am
Aufbau Palästinas und die gleichberechtigte Mitwirkung der Frauen an der
jüd. Gemeinde, insbesondere auf den Gebieten der Jugendwohlfahrt und der
Erleichterung des weiblichen Erwerbslebens.
Die Entwicklung des Jüdischen Frauenbundes als Baum
gezeichnet, ca. 1934
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Der J. umfaßt gegenwärtig (1932) 450 Vereine, 38
Ortsgruppen, 11 Landes- und Provinzialverbände mit insgesamt 52 000
Mitgliedern. Er unterhält an praktisch-sozialen Institutionen: ein Heim
für junge Mütter, Kleinkinder und weibliche Jugendliche in Neu-Ilsenburg
bei Frankfurt a.M., eine Heilstätte für Kinder und Jugendliche in Wyk
auf Föhr, die Zentralstelle für jüd. Pflegestellenwesen und
Adoptionsvermittlung in Elberfeld; Fachkommissionen bestehen für
Fürsorge, Bahnhofshilfe, Mädchen und Frauenschutz, hauswirtschaftliche
Ausbildung, Erholungshilfe für Frauen des Mittelstandes, Presse und
Propaganda. Die Ortsgruppen und Vereine des J. unterhalten ihrerseits
viele soziale Institutionen: Kindergärten, Horte, Kinderheime,
Haushaltungsschulen, Altersheime, Mädchenwohnheime und Jugendklubs.
Organ des Bundes sind die monatlich erscheinenden "Blätter des JFB für
Frauenbewegung und Frauenarbeit"; jährlich erscheint ein Kunstkalender.
Auch hat der J. einige Schriften und Übertragungen von Berta Pappenheim
herausgegeben."
Aus der deutschen Ausgabe der Encyclopaedia Judaica,
Berlin 1932
Der JFB, dem in den zwanziger Jahren ungefähr 50 000
jüdische Frauen angehörten, trat seit seiner Gründung im Jahre 1904
durch die Frauenrechtlerin Bertha Pappenheim (1859 - 1936) für die
gleichberechtigte Mitwirkung der Frauen in den jüdischen Gemeinden ein.
In der Auseinandersetzung mit der ablehnenden Haltung gegenüber der
Einführung des Wahlrechts für Frauen in den Gemeinden, die meist mit
religiösen Argumenten zur Stellung der Frau im Judentum begründet wurde,
konnte sich der JFB auf ein Gutachten aus dem Jahre 1919 von Dr. Nehemia
Nobel (1871 - 1922) stützen. Nobel stellte als erster konservativer
Rabbiner fest, daß gegen das aktive und passive Frauenwahlrecht keine
religionsgesetzlichen Bedenken geltend gemacht werden könnten. Der JFB
trat nun verstärkt für das Frauenstimmrecht in den Gemeinden ein. Im
Rahmen einer Stimmrechtswoche des Jüdischen Frauenbundes im März 1924 in
einer Reihe von Gemeinden fanden auch in Berlin agitatorische
Versammlungen statt, an denen so bedeutende Persönlichkeiten wie Bertha
Pappenheim und
Rabbiner Leo Baeck sowie Mitglieder der Repräsentantenversammlung
teilnahmen. Als im Februar 1925 die ersten Wahlen zu dem 1922
gegründeten Preußischen Landesverband Jüdischer Gemeinden stattfanden,
konnten jüdische Frauen in Berlin zum ersten Mal ihr Wahlrecht ausüben
und selbst in ein jüdisches Gremium gewählt werden.
Aktivitäten in Berlin
Eines der wichtigsten Arbeitsfelder des JFB war die
Sozialarbeit. In welch großem Umfang der JFB sich auf diesem Gebiet für
die jüdische Gemeinschaft engagierte, läßt sich nicht zuletzt an der
Vielzahl sozialer Einrichtungen ablesen, die der Verband Berlin (bzw.
einzelne Ortsgruppen) unterhielt. Im Mädchenwohnheim, eine der ältesten
Einrichtungen des Berliner Verbandes in der Rosenthaler Straße 40/41 -
es bestand seit 1912 - konnten 18 alleinstehende erwerbstätige junge
Mädchen gegen ein geringes Entgelt aufgenommen werden. Im Juni 1925
weihte Bertha Falkenberg das Studentinnenwohnheim (Mädchenwohnheim II)
in der Auguststraße 14/15 ein , das ab 1929 von der Bezirksgruppe
Schöneberg geleitet wurde und zehn jungen Frauen, die sich in der
Ausbildung befanden, Unterkunft bot.
Im November 1927 wurde das erste Altersheim des
Berliner Verbandes in der Großbeerenstraße 74 eröffnet. Es verfügte über
neun Betten. Anfang der dreißiger Jahre waren es schon 22. Im Oktober
1930 konnte aufgrund einer großzügigen Stiftung ein weiteres Altersheim
in der Königsallee 11a in Grunewald, das "Olga-Stern-Haus", eingerichtet
werden. Die Leitung des Heims, das 33 Frauen und Männern aus dem
Mittelstand aufnehmen konnte, übergab Bertha Falkenberg an Margarete
Jacoby. Dorthin wurde auch die Geschäftsstelle des Verbandes Berlin des
JFB verlegt. Ein geräumiger Gesellschaftssaal ermöglichte es nun,
Sitzungen und Zusammenkünfte im eigenen Haus abzuhalten.
Berufstätige Mädchen und Frauen konnten sich ab 1927
in dem Erholungsheim des JFB in Woltersdorf erholen. Nach der Kündigung
der Räume dort wurde 1931 ein neues Heim in Fangschleuse bei Erkner
eröffnet. Es stand unter der Obhut der Bezirksgruppen Wilmersdorf und
Grunewald-Dahlem. Die Bezirksgruppe westliche Vororte unterhielt ein
Kindertagesheim in Nikolassee, in dem Kindergarten- und Hortkinder aus
den ärmeren Teilen Berlins betreut wurden. 1929 konnten sich dort
ungefähr 20 Kinder aus den Horten in der Fehrbelliner und der
Meyerbeerstraße für vier Wochen erholen.
Außerdem unterhielt der Verband Berlin des JFB
Beratungsstellen, in denen Frauen und Jugendliche bei
Erziehungsschwierigkeiten, Eheproblemen und wirtschaftlicher Not Hilfe
angeboten wurde. 1932 richteten alle Bezirksgruppen
Hausfrauensprechstunden ein. Der Verband "Hauspflege" des JFB schickte
in Familien, in denen die Hausfrau krank oder arbeitsunfähig war,
Hauspflegerinnen. Die Hauspflegerinnen wurden in einem kurzen Kurs über
ihre Pflichten und auch über alles, was bei der Pflege eines koscheren
Haushalts zu beachten ist, informiert. Im Rahmen der Winterhilfe
richteten einige Bezirksgruppen in Zusammenarbeit mit der Jüdischen
Gemeinde "Warme Stuben" und Küchen ein und veranstalteten "lichte
Nachmittage": "Kleinrentner kommen dort mit den Frauen der Bezirksgruppe
in behaglichem Raume zusammen und vergessen bei Vorlesungen, Musik und
einfacher Bewirtung die Not des Tages". Ein Jugenddienst betreute die
aus Heimen, wie dem für gefährdete Mädchen, das der JFB in Neu-Isenburg
unterhielt, entlassenen Mädchen.
In einem Artikel über "Fragen der erwerbslosen Jugend"
aus dem Jahre 1932 berichtete Bertha Falkenberg über Kurse in Sprachen,
Stenographie, Schreibmaschine, Nähen, Gymnastik, die der Verband Berlin
unter Berücksichtigung der besonderen Verhältnisse weiblicher
jugendlicher Arbeitsloser für Mädchen anbot. Außerdem unterhielt der JFB
noch eine Gefährdetenfürsorge, eine soziale Gerichtshilfe zur Betreuung
jüdischer Angeklagter und die Bahnhofshilfe. Die Reihe der
Arbeitsgebiete des Verbandes Berlin und seiner Bezirksgruppen ließe sich
sicher noch fortsetzen.
Die hauswirtschaftliche Ausbildung war einer der
Arbeitsschwerpunkte des JFB nach 1933 geworden. Durch die Überalterung
der jüdischen Bevölkerung, die durch die Auswanderung vieler junger
Leute zugenommen hatte, gab es in den Gemeinden einen hohen Bedarf an
Krankenschwestern, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern und
Hausangestellten. Nach dem Erlaß der "Nürnberger Gesetze" im Jahre 1935
nahm die Nachfrage nach jüdischen Hausangestellten noch zu, da verboten
wurde, arische Angestellte unter 45 Jahren in einem jüdischen Haushalt
zu beschäftigen. In dem Beruf der Hausangestellten sah der JFB eine der
wenigen Möglichkeiten, das wirtschaftliche Überleben abzusichern, hatten
doch gerade jüdische Frauen kaum noch Möglichkeiten, arbeiten zu gehen.
Andererseits zielte diese Ausbildung auch auf eine
Beschäftigungsmöglichkeit in der Emigration ab. Der Jüdische Frauenbund
hatte in der ganzen Stadt Beratungsstellen eingerichtet, wo
Haushaltshilfen vermittelt wurden und über Kurse zur Anlernung und
Fortbildung in der Hausarbeit informiert wurde.
Auch in den Berufen der Kindergärtnerinnen und
Hortnerinnen, der technischen und Volksschullehrerinnen fehlte es an
jüdischem Nachwuchs.. So wirkte der Frauenbund bei der Errichtung eines
Seminars für 31 Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen mit, das im Sommer
1934 eingeweiht wurde. Auch dieses Beispiel zeigt, daß der JFB sich
während der Nazizeit verstärkt der Berufsausbildung und -umschulung von
Frauen und Mädchen widmete.
Ein weiterer wichtiger Arbeitsschwerpunkt des JFB war
die Jüdische Winterhilfe. Ab 1935 wurden jüdische Hilfsbedürftige nicht
mehr vom Winterhilfswerk des Deutschen Volkes versorgt, Jüdinnen und
Juden nicht mehr um Spenden gebeten. Mit dem Winter 1935/36 kam der
Jüdischen Winterhilfe, deren Träger in Berlin das Jugend- und
Wohlfahrtsamt der Jüdischen Gemeinde war, eine große Bedeutung zu. Im
Winterhalbjahr wurden diejenigen, die ihren eigenen Lebensunterhalt oder
den ihrer Angehörigen nicht mehr bestreiten konnten, mit Nahrungs- und
Genußmitteln, Kleidung und Brennmaterialen unterstützt. Im Dezember 1935
nahmen mehr als 25 000 Bedürftige die Leistungen der Jüdischen
Winterhilfe in Anspruch, zu Beginn des Jahres 1936 waren es schon mehr
als 27 500. In den Bezirken Norden und Mitte lagen die Zahlen der zu
Betreuenden über dem Berliner Durchschnitt. Die dafür notwendigen Mittel
wurden durch monatlich zu leistende Beiträge, die Eintopfspende, die
Haussammlung (Straßensammlungen waren nicht erlaubt), die Büchersammlung
und die Pfundspende aufgebracht. Die Sammlung der Pfundspende
(Lebensmittel und Kleidung), die auch durch einen Geldbetrag abgegolten
werden konnte, wurde von den Frauenverbänden organisiert, die "die sehr
mühselige und umfangreiche Arbeit des Werbens, des Einsammelns, des
Zurechtmachens der Pakete, der Verteilung und der genauen Buchführung
aller eingegangenen Spenden übernommen haben."
Der jüdische Frauenbund wurde 1938 aufgelöst. Er wurde
Anfang der 1950iger Jahre wieder begründet.
"Von Salon keine Spur":
Der Jüdische Frauenbund nach 1945
Hanna Karminski:
Das Judentum als Lebensgrundlage
Berta Falkenberg:
Eine Spurensuche
Zedakah:
Jüdische Sozialarbeit in Berlin (Führung)
hagalil.com
16-10-02
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